Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
biss die Zähne zusammen und presste die Luft aus seinen Lungen, als er das Messer aus seinem Leib zog. Die Wunde schmerzte höllisch, würde aber schnell heilen, wenn er vom Blut des Magiers trank. Amber war in Gefahr, und wenn er sie retten wollte, benötigte er seine ganze Kraft. Er beugte seinen Kopf hinab und legte seine Lippen auf die klaffende Wunde am Hals, aus der das Blut sickerte. In gierigen Zügen schluckte er den Lebenssaft, bevor dieser geronnen war. Gestärkt erhob er sich und ließ sich von den Wirbeln in die Schattenwelt ziehen.
Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich unter dem roten Himmel stand. Sie sah genauso aus, wie sein Geist sie gesehen hatte. Nein, sie übertraf seine Erinnerungen an die Reisen. Am Horizont erhob sich das schwarze Gebirge, das höher war als eines der sterblichen Welt. Es zeichnete sich wie ein Scherenschnitt vor dem roten Horizont ab und wollte von ihm entdeckt werden, wie alles hier. Aidan witterte den Geruch frischen Blutes, vermischt mit dem süßen Duft der Ranken, die sich hier in unvorstellbarer Pracht entfaltet hatten. Die roten Dornen pulsierten, als schlüge in jedem von ihnen ein Herz. Die schwarzen Blüten öffneten und schlossen sich in gleichmäßigem Rhythmus, was etwas Beruhigendes und gleichermaßen Anregendes besaß. Diese Welt war bizarr und atemberaubend. Aidan fühlte sich mit ihr tief verbunden, viel mehr als der Mensch Aidan MacFarlane es mit der Heimat Schottland je gewesen war.
Die menschliche Stimme, die gegen diese Empfindungen aufbegehrte, versuchte er zu ignorieren, denn er wollte sich ganz diesem Gefühl hingeben. Die Energie dieser Welt drang in ihn und entlud sich in einem Prickeln, das bis in die Fingerspitzen reichte. Hier war er stark und frei wie nie zuvor.
Doch die andere Stimme in seinem Inneren ließ sich nicht abschalten. Es schien, als kämpfte sie voller Verzweiflung gegen ihren Tod. Wie Amber.
Amber? Ihre Verzweiflung brandete gegen ihn wie eine Woge und dämpfte die Faszination, die die Schattenwelt ausstrahlte. Er spürte ihre Nähe und eine dunkle Ahnung stieg auf, dass sie sich bereits in der Gewalt Revenants befand. Er fuhr herum, als er die Gegenwart mehrerer Wesen spürte. Vampire, Werwölfe und Dämonen waren gekommen, um ihn, den Eindringling, zu begutachten. In einigem Abstand verharrten sie auf der Stelle und beäugten ihn voller Argwohn, bis einer der Vampire vortrat, eine Hand auf die nackte, bleiche Brust gelegt und den Kopf neigte.
„Sei willkommen, Warrior. Der Lord erwartet dich.“
Danach bedeutete er Aidan, ihm und den anderen zu folgen. Doch erst musste Aidan wissen, was mit Amber geschehen war und wo sie sich befand. Die Angst um sie wallte erneut auf und ließ alles andere bedeutungslos erscheinen.
„Wo ist die Frau?“, rief er ihnen nach.
Aber sie wandten sich nicht um, sondern liefen neben den Ranken her wie Roboter, die einem Befehl folgten. In diesem Moment wusste Aidan, dass sich seine Visionen bewahrheiten würden.
24
A mbers Schreie verpufften im eisigen Nichts. Sie hatte es aufgegeben, sich zu wehren und ließ sich immer tiefer ins Dunkel ziehen, an dessen Ende die Schattenwelt und Revenant warteten. Es war nicht zu verleugnen, dass neben ihrem Unbehagen auch eine gewisse Neugier mitschwang. Sie war gespannt, ob es dort wirklich so aussah wie bei ihren Geistreisen. Aber sie fürchtete sich vor der Begegnung mit dem Vampirlord, die über ihre Zukunft und die der Welt entschied. Gedanken ans Versagen schob sie weit von sich, weil es sie gebremst hätte. Erwartete Aidan sie bereits an Revenants Seite? Sie wollte Antworten auf ihre Fragen und zwar schnell, weil es sie quälte, den geliebten Mann in den Händen der Finsternis zu wissen.
Ein durchdringendes Pfeifen peinigte ihre Ohren, als hielte jemand ein Mikro zu dicht an den Lautsprecher. Als das Geräusch abrupt abriss, landete sie hart auf ihrem Hinterteil. Benommen blieb sie sitzen. Vor ihren Augen drehte sich alles, als wäre sie in einer Achterbahn dutzende Loopings gefahren. Ihr Körper war durchgerüttelt worden, aber sie hatte alles gut überstanden. Die Stille war nicht nur ungewohnt, sondern gespenstisch. Amber rappelte sich auf und schüttelte ihre Beine aus. Weder von Colin noch von Aidan war etwas zu sehen. Umso einsamer fühlte sie sich.
Über ihr wölbte sich der scharlachrote Himmel, an dessen Horizont die schwarzen Berge zu erkennen waren. Alles sah tatsächlich genauso aus, wie ihr Geist es wahrgenommen hatte,
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