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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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die Sklaven Ägyptens dazu brachte, sich für den Bau der Pyramiden zu opfern. Sie trieb die Mayas auf die Spitzen ihrer Tempel und ließ ihnen zu Zehntausenden die Herzen herausreißen. Sie motivierte die Ritter des Kreuzes ihr Schwert zu nehmen. Sie trieb die Anführer der Kinderkreuzzüge, die verwirrten Kinder in den Tod zu führen. Sie brachte die Nazis dazu, ihre vermeintlichen Feinde und die Juden zu Millionen zu vergasen. Sie lässt Menschen Krieg führen, im Großen und im Kleinen. Wenn Mütter ihre neugeborenen Kinder in Aschentonnen verrecken lassen, ist sie die treibende Kraft. Wenn Väter ihre ganze Familie foltern und töten, ist sie dabei. Und du bist jetzt im Zentrum all dieser Kraft."
    Ein ungeheures Machtgefühl durchzog Aurim. Langsam verstand er. Ihm wurde angeboten, Täter zu werden statt Opfer. Mehr noch! Ihm wurde garantiert, Täter zu bleiben.
    "Unsterblichkeit verspreche ich demjenigen", fuhr die Kraft fort, "der Täter bleibt, der immer für neue Opfer sorgt, der mich versorgt. Unsterblichkeit!"
    Während die Tödliche Kraft ihre Energieströme auf ihn abstrahlte, war das ganze Gebilde noch größer geworden und begann dadurch, Aurim immer näher zu kommen. Die Komplexität seiner geometrischen Strukturen schien keine Grenzen mehr zu kennen.
    Sollte es also wirklich so sein, dass das Böse in der Welt eine Kraft von außen war? Oder war er, Aurim, auf nicht zu erklärende Art und Weise in das Gedankenlabyrinth eines anderen Menschen geraten, eines sehr merkwürdigen, sehr kranken Menschen zudem? Oder war - und diesen Gedanken mochte er gar nicht zu Ende denken - dieser Irrwitz ein Spiegel seiner eigenen tödlichen Potentiale? War Innen gleich Außen und gab es gar keine ernstzunehmenden Grenzen?
    Aurim wurde von weiteren Lichtkaskaden übersprüht, als jetzt direkt vor ihm sternförmige Zacken aufeinander klappten wie überdimensionale Kiefer.
    "Was wäre meine Aufgabe?", fragte Aurim.
    Etwas wie ein Lachen klang auf.
    "Du bist doch Wirtschaftler", kam es von der Tödlichen Kraft zurück.
    "Deine Aufgabe ist es, die Gewinne deiner Auftraggeber zu maximieren. Und als Gegenleistung bietest du den Arbeitnehmern Beschäftigung."
    "Das ist meine augenblickliche Aufgabe", antwortete Aurim.
    "Ja, du bist schon auf dem richtigen Weg", kam es aus den Lichtkaskaden.
    Die Gedankenströme wurden immer stärker. Die Lichtkaskaden hüllten Aurim ein wie in einen strahlenden Kokon.
    "Sieh' zu, dass die Gewinne extrem bleiben und die Arbeit psychosozial gesehen einziger Sinn des Menschen wird! Das genügt."
    "Aber das tue ich doch schon die ganze Zeit", wunderte sich Aurim.
    "So ist es! Du siehst also, wie leicht deine Aufgabe ist. Nur dass du es jetzt für mich tust … und für deine Unsterblichkeit."
    Immer tiefer geriet Aurim in die verwirrenden Muster der Tödlichen Kraft.
    "Und was wird aus all den anderen?", wehrte er sich. "Was geschieht, wenn ich so weiterarbeite wie bisher, nur noch intensiver?"
    Tief im Inneren der sich ständig verändernden geometrischen Muster entstand das dreidimensionale Abbild einer Großstadt. Das Hauptgebäude eines Konzerns wurde herausgehoben, ein modernes komplexes Gebäude. Aurim erkannte diese Art von Komplexität sofort wieder, diese Protzerei des Künstlichen, mit viel Aufwand wenig erreichen, mehr scheinen als sein.
    Das war Aurim früher schon bis zum Kotzen gegen den Strich gegangen. Warum hatte die Tödliche Kraft ausgerechnet ihn ausgesucht?
    "Schlägt nicht dein Herz höher beim Anblick solcher Macht?"
    "Mein Herz schlägt höher, aber nicht vor Freude", sagte Aurim.
    "Vor Angst?" , fragte die Kraft hoffnungsvoll.
    "Vielleicht !", antwortete Aurim. "Ich bewundere einen Rosengarten auf eine ganz andere Art, als einen Computer. Und wenn eine Maschine kaputt geht, bin ich vielleicht ärgerlich. Aber wenn Menschen, ja, sogar wenn Tiere sterben, bin ich traurig. Und ehrlich gesagt, diese Gefühle möchte ich mir auch gerne erhalten. Ich möchte mir den Respekt vor allem, was lebt, erhalten."
    Und plötzlich wurde Aurim auch klar, was ihn von den ande ren im Vorstand wirklich unterschied.
    Die Tödliche Kraft schnarrt e: "Sollte ich mich in dir getäuscht haben?"
    "Ich weiß es nicht", sagte Aurim, "aber ich halte es für wahrscheinlich."
    Die weißlich blauen Lichtstrahlen wechselten zum Violetten hinüber. Die Sprache der Tödlichen Kraft verlor alle Energie. Sie wirkte mehr und mehr wie eine Stimme aus dem Telefonhörer. Ihre zunehmende Anonymität machte sie

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