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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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den Fahrer mit ihren unteren Ästen auf den Sitz spießte.
    Die unglaubliche Kraft verließ Aurim nicht. Er setzte sich auf der Bahre auf, spannte die Muskeln seines Oberkörpers an und die Bänder der Zwangsjacke, in die sie ihn trotz der Betäubung gewickelt hatten, rissen wie morsche Bettlaken.
    Aurim war frei. Jedoch hörte er den dröhnenden Ton in sich so eindringlich, dass er seine neue Freiheit von dieser Seite wieder außerordentlich eingeschränkt fühlte. Er machte sich auf den Weg durch den regennassen Wald. Der Ton trieb ihn bis zu jenem Tor zwischen den beiden weißen, steinernen Torpfosten. Aurim konnte sich nicht dagegen wehren.
    Und nun war er hier. Aurim tat ein paar Schritte in den riesigen freien Raum hinter dem Tor. Er erkannte die endlosen Reihen der Grabsteine. Sie verloren sich im immer dichter werdenden Nebel. Parallelen, die sich im Unendlichen schneiden.
     
    Ein Soldatenfriedhof. Wie viele junge Männer mochten hier liegen, zehntausend, zwanzigtausend? Alle waren sie in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges gestorben. Die starre Ordnung des Friedhofes erschien Aurim wie ein schwächlicher Versuch, Fassbarkeit in das Unfassbare zu bringen. Ein Versuch, den Schrecken über des Menschen Möglichkeiten zwanghaft zu ordnen. Es erinnerte Aurim fatal an jene Wahnsinnigen in den Anstalten, die Zahlenkolonne auf Zahlenkolonne aneinanderreihen, überaus ordentlich, aber ohne jeden Sinn. Genauso sinnlos erschien Aurim der Tod von jungen Männern durch Männer in ungeheurer Masse, auch wenn er in Reihen geordnet war.
    Was hatte Aurim hergeführt?
    Zwischen den Grabreihen, die Wege entlang, begannen sich glänzende Lichtlachen auszubreiten. Als wenn der Tod den Mond gebeten hätte, ihn mit blauweißer Milch zu wässern.
    Der Tod ist immer durstig.
    Aurim spürte es ganz deutlich, welch starke saugende Anziehung die tödlichen Kräfte dieses Ortes ausübten. Irgendetwas war innerhalb der scheinbaren Passivität der Friedhofsruhe außerordentlich aktiv. Blaue Milch floss vom Mond herab in Strömen auf den Friedhof, sammelte sich zwischen den Gräbern, stieg an, überflutete sie, verband sich mit dem Nebel, bis nur noch die Köpfe der Grabsteine zu sehen waren. Kilometersteine an der Straße des Todes.
    Etwas ungeheuer Gefräßiges schien von all den jungen Leben zu leben, hatte ihnen zugeflüstert: Wirf dein Leben weg, sei nicht feige, werde ein Held und stirb!
    Aurim vermeinte unter diesem verführerischen Flüstern noch eine tiefere , durchaus hässlichere Stimme zu hören, eine Stimme von unentrinnbar suggestiver Kraft, die sagte: Töte, bring’ mir Nahrung, töte, töte, ...und wenn du nichts mehr zum Töten findest, töte dich selbst! Töte alles, was lebt! Ich brauche Leben. Die ganze Welt ist eine Lebensfarm für mich, sie dient mir zur Nahrung.
    Etwas ging vor. Dieser Friedhof hatte mit Frieden nichts zu tun. Aurim schwamm durch die Licht- und Nebelschwaden.
    Ein sanfter Abhang führte auf eine Ebene, deren Dimensionen atemberaubend wirkten. Hier waren die Grabsteine anders geformt. Sie trugen jeder eine tiefe Kerbe am oberen Ende, als wenn eine diamantene Axt den Marmor gespalten hätte.
    Was immer dieses Zeichen bedeuten mochte, die am Alter gestorben waren, lagen sowieso nicht auf diesem Friedhof. Hier lagen ausschließli ch Opfer, die zu Tätern wurden und Täter, die zu Opfern wurden. Die Gewalt war fühlbar.
    Ein Wirbel durchfuhr Licht, Luft und Nebel und riss Aurim weiter. Die Ebene endete am Fuße einer berggroßen Erdpyramide. Der Wirbel zog Aurim in einen Erdspalt, der ihn wie ein breites Maul verschluckte. Es ging durch völlige Dunkelheit bis zur Quelle der Lichtfluten.
    Ein haushohes, geometrisches Gebilde aus glänzendem Material bewegte seine harten Kanten gegeneinander. Lichtkaskaden spritzten an die Decke der riesigen Höhle. Eine geistige Kraft umfasste Aurims Denken wie eine gigantische Faust.
    "Du bist im Kern des Unlebens angekommen", wurde ihm vermittelt. "Auserwählt wurdest du, zu erkennen, was das Unleben braucht."
    Aurim schwankte. Ein kleines Stimmchen klang noch in ihm, das sagte: "Hör' nicht hin, denn die Auserwählten sterben alle. Sie sollen nur Nahrung heranschaffen für dieses unendlich gefräßige Monstrum."
    Aber dieses Stimmchen war sehr schwach.
    Aurim stand im Zentrum jener Kraft, die Menschen zu Massenmördern, zu Foltermeistern und zu Amokläufern macht.
    Das kleine Stimmchen wurde nieder gedröhnt.
    "Sieh dich im Gefolge jener hehren Tradition, die

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