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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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Wüstenfort in einem deutschen Wald.
    Das relativ niedrige, schmiedeeiserne Tor war nicht verschlossen. Er drückte es auf. Es quietschte laut. Aurim trat ein. Kaum hatte er den ersten Schritt ins Innere dieses unheimlichen Gebildes getan, spürte er, dass er am Ziel war. Dieser Schritt war das Ziel all der Unruhe und Wirrnisse der letzten Wochen und Monate gewesen. Aurim war einen langen Weg entlang geführt worden.
     
     
    In der Vorstandssitzung heute Morgen hatte es eine offene Dissonanz gegeben. Eine Personalfrage. Eine der Abteilungsleiterinnen hatte sich in Aurims Augen äußerst geschäftsschädigend verhalten. Aurim legte die ganze Wucht seiner eindrucksvollen hohen Gestalt in sein Plädoyer. Und doch schienen seine Worte ins Leere zu gehen. Wieder einmal fiel Aurim seine Sonderstellung innerhalb des Konzernvorstandes auf. Nicht nur, dass er mit Abstand das jüngste Mitglied war. Auch sein Äußeres, seine unangepasste Erscheinung unterschied ihn gewaltig von den grauen Männern um ihn. Der helle kleine Diamant auf seinem rechten Nasenflügel unterstrich die Schärfe seiner gebogenen Nase. Der lange Schal und der schwarze Hut, den er nie absetzte, gab ihm etwas künstlerisch Unabhängiges. Seine breiten Schultern strahlten eine Kraft aus, mit der sich jeder zweimal überlegte, zu kollidieren. Und trotzdem wurde er nicht recht ernst genommen.
    "Sie übertreiben ein wenig, mein Lieber", sagte der übergewichtige, graue Fettkloß neben ihm.
    Während die armen Schweine auf der mittleren Managementebene sich die Zungen aus dem Hals trainierten, um ihr fittes Erscheinungsbild zu wahren, schien ein Vorstand das nicht mehr nötig zu haben. Die Mitglieder des Vorstandes schluckten lieber jede Menge Pillen.
    "Die Frau muss weg", knurrte Aurim, "sie gehört nicht hierhin."
    "Aber ich bitte Sie, das wäre eine völlig unangemessene Reaktion", entgegnete der Dicke.
    Wahrscheinlich hast du mit ihr geschlafen, dachte Aurim und erhob sich. Augenscheinlich sah nur er das so eng. Er redete gegen Wände. Die anderen behandelten ihn wie einen fiebernden Kranken.
    Und da gab es in ihm so etwas wie eine Explosion. Als er mit einem Stuhl in den Händen auf diesen dick und fett grinsenden Vorstandskollegen losging, hielten sie ihn gemeinschaftlich fest und riefen die Security. Die Wachmänner waren so schnell da, dass Aurim flüchtig auf den Gedanken kam, dies alles wäre geplant und vorbereitet gewesen, und sie hätten schon vor der Tür gewartet. Sie brachten ihn in den Empfang und übergaben ihn der Polizei, die auch verdächtig schnell im Hause war. Die Polizisten verfrachteten ihn in ein Auto. Sie fuhren ihn in eines dieser riesigen Zentralkrankenhäuser. Aurim musste eine Blitzuntersuchung in der Psychiatrie über sich ergehen lassen. Das Ergebnis schien jedoch im Vornherein festzustehen, denn der Wagen, der ihn von hier aus in eine geschlossene Anstalt bringen sollte, stand schon bereit. Sie spritzten ihm ein starkes Beruhigungsmittel in den Arm. Aber die Kräfte, die in ihm frei geworden waren, ließen sich mit solchen Mitteln nicht mehr eindämmen. Die Wagentür glitt mit diesem sachten Schmatzen teurer Wagen ins Schloss.
    Und da hörte Aurim zum ersten Mal diesen Ton. Eine Art tiefen Dröhnens, das ihn zunächst völlig desorientierte wie einen Schwimmer, den unter Wasser das Gleichgewichtsgefühl verlässt. Aber dann erkannte er, dass er den Ton mit seinem sechsten Sinn hörte, mit einer Orientierungswahrnehmung, über die keiner der Pfleger verfügte. Das machte Aurim stark.
    Als sie etwa eine halbe Stunde gefahren sein mochten, spürte Aurim, dass es soweit war. Ein nie gekanntes Kraftgefühl breitete sich in ihm aus. Auf nicht zu beschreibende Weise schien es mit dem Mond zusammenzuhängen, der wie eine große silberne Scheibe über den Wäldern hing. Aurims normalerweise schon sehr dunkle Augen wurden zu schwarzen Löchern. Ein unheimlich sanftes Lächeln zog über sein Piratengesicht.
    Aurim zog die Beine an, wurde zur Kugel, drehte sich um neunzig Grad und schnellte dem neben ihm dösenden Pfleger seine Beine in die Seite. Der Mann wurde durch die Seitenwand des Krankenwagens gedrückt, als sei sie aus Pappe. Das Seitenfenster spritzte in hohem Bogen Glasscherben auf die Straße. Der Fahrer verlor die Kontrolle über das Steuer. Er bekam den Wagen nicht mehr auf die Fahrbahn zurück. Der Krankenwagen glitt mit einem ohrenbetäubend hellen Ton von der regennassen Straße in den Wald und raste in eine Eiche, die

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