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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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hatte er beim Betreten sorgfältig jeden Blick auf das verzierte Türblatt vermieden. Vermutlich wären die gequälten Figuren ihres reichen Schnitzwerkes im Halbdunkel des beginnenden Abends wieder auf unheimliche Weise lebendig geworden. Das war einer der Anblicke, auf die Tweeford gerne verzichtete. Er arbeitete nun schon drei Jahre für MYLADY. Aber er hatte sich immer noch nicht an diese und andere seltsame Erscheinungen, die in diesem Hause üblich zu sein schienen, gewöhnt. Auch dieses gellende Schreien seines Namens: "Tweeford!", war noch nicht zu den Gewohnheiten geworden, die der Butler zu MYLADIES liebenswürdigen zählte.
    Auch an diesem Abend drang dieser gellende Schrei wieder an sein Ohr und bereitete ihm körperliche Schmerzen.
    "Tweeford!"
    Diese Stimme duldete keinerlei Aufschub. Keinerlei! Er hastete die Treppen hinauf. So schrie sie nur, wenn sie wieder vor diesem verdammten DING saß.
    Seufzend gedachte Tweeford der geruhsamen Zeiten, als er noch bei Lady Emily in Sussex in Dienst gestanden hatte. Dort waren die größten Aufregungen dadurch entstanden, dass Lady Emilies Frühstücksei nicht weich genug gekocht worde n oder der Modellrasen vor dem Haus nicht vernünftig, also nicht völlig gleichmäßig geschnitten war. Vielleicht einmal im Monat war das vorgekommen, beides, weiches Ei und ein unregelmäßiger Rasen. Nichts also, was einen englischen Butler hätte aus dem Gleichgewicht bringen können. Jedenfalls, diese Emily (sie ruhe in Frieden) war wirklich eine Lady gewesen. Diese sogenannte (wahrscheinlich selbsternannte ) MYLADY jedoch schien es geradezu darauf anzulegen, seine innere Ruhe empfindlich zu stören.
    Tweeford wuchtete seine zweieinhalb Zentner die Stufen empor. Er atmete schwer, ja, er war eben nicht mehr der Jüngste.
    "Tweeford!"
    Er fühlte sich wie an eine schrill klingende, riesige Glocke gebunden. Der Butler räusperte sich, versuchte sich zu sammeln, bevor er MYLADY gegenübertrat. Dann klopfte er an die Schlafzimmertür. "Nur herein, gottverdammter Nichtstuer! Ich bezahle dich nicht dafür, dass du nicht da bist, wenn ich dich brauche", fuhr sie ihn an. Nach Luft ringend stand der Riese Tweeford in der Tür und brachte nicht mehr hervor als: "MYLADY wünschen?"
    Er sah mit einem Blick, dass sie wieder dieses gottverdammte DING in Betrieb hatte. MYLADY saß auf einem Stuhl vor dem großen, magischen Spiegel. Ihre langen, roten Haare fielen über die Schultern bis auf ihre Hüften und bildeten einen entzückenden Kontrast zum seidigen Weiß ihres langen Gewandes. Für eine Rothaarige besaß sie erstaunlich blaue Augen und Tweeford hätte seinen letzten mageren Lohn darauf verwettet, dass sie jedes Mal weiß wurden, wenn sie wütend war. Tweeford glaubte insgeheim, dass sie die Fünfzig schon weit überschritten hatte. Bei diesem Licht jedoch... Sie sah aus wie eine junge Frau, und dieser seltsame Verjüngungsvorgang erschreckte Tweeford jedes Mal. Denn es lag nicht nur am Licht. Jedes Mal, wenn sie dieses verdammte DING in Betrieb gehabt hatte, hielt ihr junger Zustand mehrere Tage an, bevor sie wieder sichtlich zu altern anfing. Allerdings schien ihre Jugend gewissermaßen gestohlen. Denn während MYLADY in blühender Schönheit auf ihrem Stuhl saß und diesen verfluchten Spiegel befragte, wurde alles in ihrer Umgebung schonungslos einem beschleunigten Alterungsprozess preisgegeben. Wohin der Spiegel auch sein geisterhaft fahles, grünblaues Licht warf, alles war in moderndem Verfall begriffen. Tweeford befürchtete, dass ihn jeder kleine Besuch bei MYLADIES Seancen Jahre seines Lebens kostete.
    Tweeford wandte seinen Blick von den vorzeitig zerschlissenen Vorhängen ab. Er wollte gar nicht so genau wissen, was in ihren schwarzen Löchern weißlich glänzend herumwimmelte und sich ringelte.
    Einmal hatte er sich unvorsichtigerweise auf dem zweiten Stuhl MYLADY gegenüber niedergelassen und war in einer weißen Wolke von Holzstaub zu Boden gegangen. Das vom Wurm zerfressene Holzwerk hatte berstend unter ihm nachgegeben. In dem Staub waren die blinden Köpfe schlangengroßer Würmer erschienen. Noch nie in seinem Leben war Tweeford so schnell wieder auf die Beine gekommen.
    Ein anderes Mal hatte er MYLADY, die sich in ekstatischer Begeisterung über ihre eigene Schönheit alle Kleider vom Leibe gerissen hatte, schamhaft mit einem Bettlaken bedecken wollen. Tweeford hatte sich eines dieser hellen Tücher vom Fußende ihres Bettes gegriffen. Aber das Tuch verwandelte sich

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