Mondherz
Unglückstags Laszlo vergebens zum Aufbruch gedrängt. Obwohl sein Spion wenig Verdächtiges meldete, hatte er die Gefahr gerochen wie ein madiges Stück Fleisch, das unter seinem Bett verfaulte. Als er die Soldaten hörte, war es jedoch zu spät gewesen. Die königlichen Truppen hatten das Stadthaus der Hunyadis bereits umstellt. Miklos und er hätten sich mit brachialer Wolfskraft gegen ihre Gefangennahme wehren können, doch Gábor hatte Miklos daran gehindert. »Wir müssen bei Laszlo bleiben«, hatte er ihn angewiesen. Inzwischen bereute er es.
Er sah zu dem Jungen hinüber, der auf seiner Pritsche saß. Miklos’ Finger wanderten unruhig an der Felswand entlang, auf und ab, auf und ab. Drei Tage noch, schätzte Gábor, dann würde sein Schüler sich nicht mehr gegen den Wolfstrieb wehren können. Bis dahin mussten sie draußen sein.
Als hätte Miklos seine Gedanken gelesen, verharrten seine Finger. Er drehte sich zu Gábor um. »Wir kommen hier nicht von selbst hinaus«, sagte er leise.
Gábor nickte. »Es gibt nur einen Weg«, erwiderte er. Er zermarterte sich darüber schon seit Stunden den Kopf. Selbst wenn Michael oder Pavel inzwischen Nachricht erhalten hatten und aus Belgrad oder Prag jemanden schickten, um sie zu befreien, würde es zu spät sein.
»Wir müssen sie dazu bringen, die Tür zu öffnen«, sagte er.
»Aber wie?« Miklos hob die Schultern. »Selbst wenn wir todkrank wären, würden sie uns wahrscheinlich eher sterben lassen, als einen Fuß in unsere Zelle zu setzen.«
Er verstummte. Sie hörten, wie draußen die Tür zum Zellentrakt geöffnet wurde. Drei Wärter kamen den Gang entlang. Sofort stellte sich Gábor an die Luke und spähte nach draußen.
Die Wärter sahen ihn und grinsten. Sie waren ungepflegte, räudige Kerle, zu dumm, um in die königlichen Truppen aufgenommen zu werden, und zu brutal, um einen anderen Beruf auszuüben. So waren sie hier gelandet, und ihre feisten Bäuche zeigten, dass sie sich gerne ihren Anteil am Essen der Gefangenen abschöpften. Einer von ihnen, ein grobschlächtiger Kerl, der Gábor schon seit Tagen wegen seiner widerwärtigen Witze auffiel, kam auf die Zellentür zu. Sein Grinsen legte schwarze Zahnlücken frei.
»Hallo, Türkenschwuchtel«, sagte er. »Hast wohl immer noch nicht genug von unserem Anblick?«
Seit zwei Tagen war Gábor der einzige Gefangene, der sich bei der Ankunft der Wärter noch an die Luke stellte. Die anderen schienen jeden Antrieb verloren zu haben. Nur auf Zuruf schlurften sie zu den Fenstern, um ihr Essen in Empfang zu nehmen.
Gábor bleckte die Zähne. Er hasste es, dass die Wärter über seine Herkunft Bescheid wussten, von wem auch immer. Sie nannten ihn nur noch den Türken und brachten ihm besondere Abneigung entgegen. Sein Versuch, sie zu bestechen, hatte nur Hohn geerntet. Ihm brannten die schlimmsten Erwiderungen auf der Zunge, doch er sagte nichts. Die Wachen kamen nie ohne Grund. Es war keine Essenszeit, also waren sie hier, um jemanden abzuholen oder etwas zu verkünden. Wenn sie doch nur Miklos und ihn holen würden! Es reichte, wenn sie die Tür öffneten, und sie würden ihre Wolfskräfte zu spüren bekommen. Gábor wusste, dass Miklos hinter ihm sprungbereit auf seiner Pritsche kauerte.
Doch dazu kam es nicht. »Wir haben Neuigkeiten für euch«, sagte der Wärter. Er wandte sich von Gábor ab, war jedoch immer noch so nah, dass Gábor seinen schlechten Atem riechen konnte. »Laszlo Hunyadi ist soeben enthauptet worden.«
Gábor keuchte auf. Aus den anderen Zellen hörte er entgeisterte Rufe.
»Hat es ein Gerichtsurteil gegeben?«, fragte er.
Der Wärter zuckte mit den Schultern. »Bei einem Königsverräter? Nein.«
Ladislaus, dieser Verbrecher! Gábor krampfte die Finger um das Gitter. Nicht einmal ein gerechtes Verfahren hatte er Laszlo zugestanden. »Was ist mit Mathias?«, rief er. »Laszlos kleiner Bruder, lebt er?«
»Der Liebling des Hofes?« Der Wärter schnaubte. »Hier unten haben wir ihn jedenfalls nicht gesehen.« Er hatte das Interesse an dem Gespräch verloren und wandte sich ab.
»He!« Wütend rüttelte Gábor an den Eisenstäben. »Gib mir eine Antwort!«
Doch der Wärter grinste grimmig und ging weiter. »Du Türkenbastard kannst mir gestohlen bleiben.« Er hob das flackernde Talglicht hoch und verschwand aus Gábors Gesichtsfeld. Es wurde dunkel. Sie hörten, wie einer der Wärter der Tür nach draußen einen Stoß gab. Allerdings fiel sie hinter ihnen nicht ganz ins Schloss.
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