Mondherz
noch so schön wie ein Engel. Entsetzt schlug sie die Hände vors Gesicht, doch sie kam nicht dagegen an. Erst nach einer Weile wurde sie ruhiger, und dann spürte sie die Gegenwart ihrer Wölfin, so deutlich wie nie zuvor. Es war, als strich ihr Fell tröstend warm über ihr Gesicht.
Er ist nicht tot,
murmelte die Wölfin tief in ihrem Inneren.
Wir würden es spüren, wenn er stirbt.
Veronika hob den Kopf und horchte in sich hinein. War es nur Wunschdenken, dass ihre Verbindung zu Gábor so stark war? Sie wusste es nicht. Doch sie wollte der Wölfin mit aller Kraft glauben.
»Er muss einfach noch leben«, flüsterte sie, und ein Hoffnungsschimmer brach sich durch das Dunkel. Wenn jemand klug genug war, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, dann Gábor. Von jäher Rastlosigkeit getrieben stand sie auf. Zum ersten Mal drangen die Geräusche von außen wieder zu ihr durch. Zahlreiche Menschen liefen durch die Gänge der Burg, ihre Schritte klangen wie Mäusegetrappel. Sie hörte zwei Mägde im Hof vor Sorge schluchzen, Männer fluchen, und der Kämmerer erteilte harsche Befehle. Die Gräfin würde alle Kräfte einsetzen, um ihre Söhne zu retten, das wusste Veronika. Und sie selbst musste auch etwas unternehmen, um ihr Rudel zu befreien! Allerdings war sie nur ein Mädchen ohne Geld, ohne Truppen oder Einfluss bei Hof. Was konnte sie schon tun? Sie schloss ihre Augen, lauschte auf ihre Wölfin. Sie drängte nach vorne, fieberhaft vor Tatendrang.
Wir müssen zu ihnen,
jaulte sie.
Ruhelos wanderte sie durch ihre Kammer, während sie diesen Gedanken durchdachte. Sie könnte nach Buda reisen, sie könnte herausfinden, ob ihr Rudel noch lebte. Und dann würde sie andere Werwölfe des Bundes finden, die ihr helfen konnten, sie zu retten. Ihre Wangen glühten nun nicht nur vom Herumlaufen, als sie sich gegen die kalte Mauer lehnte. Vielleicht schickte der Wolfsbund sogar selbst Männer nach Buda, und vielleicht konnte auch Viktor helfen. Ihm würde sie durch Paulos Familie eine Nachricht zukommen lassen.
Kurz überkamen sie wieder Zweifel, ob sie tatsächlich in Buda etwas ausrichten konnte. Gab sie sich nur Hirngespinsten hin? Nein. Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte einen vorläufigen Plan geschmiedet, der ihr Kraft und Halt geben würde, bis sie die beiden Männer wieder in ihre Arme schließen konnte.
Buda, Februar 1457
Die Gefangenen hatten seit Tagen keine Sonne mehr gesehen. Als man sie hierhergebracht hatte, die Hände mit schweren Ketten gefesselt, war es Nacht gewesen. Die Wachen hatten sie dicht an dicht erst in den Vorhof der Budaer Burg und dann enge Gänge entlang abwärtsgetrieben. Der Kerker befand sich tief im Burgberg. Natürliche Höhlengänge waren vor vielen Jahren verbreitert und mit groben Hammerschlägen zu Räumen geformt worden, so tief unter der Erde, dass draußen niemand die Schreie der Gefangenen hörte.
Gábor teilte sich die Kerkerzelle mit Miklos. Zwei Pritschen aus moderndem Holz gab es, auf denen sie sitzen oder mit angezogenen Beinen liegen konnten, und eine handbreite Öffnung im Boden für ihre Notdurft, aus der es erbärmlich stank. Die Decke war so niedrig, dass sie im Stehen mit den Köpfen anstießen. Tropfen rannen an den Felswänden aus Tuffstein herab und die Luft war so kalt, dass ihnen nachts der Atem in Wolken vor den Gesichtern stand. Allerdings war es nur ihren scharfen Augen zu verdanken, dass sie dies überhaupt sahen. In ihrer Zelle gab es kein Licht. Nur durch eine vergitterte Luke in der Tür fiel der rauchige Schein einer Talglampe herein. Sie stand einige Schritte entfernt im Gang und beleuchtete den Wachen ihren Weg. Manchmal verbrannte der Talg jedoch, ohne dass die Wachen ihn gleich ersetzten, und dann war es über Stunden hinweg stockdunkel.
Einen Fluchtweg gab es nicht. Die Gitterstäbe vor der Luke waren fest im Holz verankert, und die Türangeln waren aus massivem Eisen. Zwei tönerne Schalen mit Essen und einen Wasserschlauch reichten ihnen die Wachen einmal täglich durch die Luke herein. In den Nachbarzellen waren andere Getreue von Laszlo Hunyadi untergebracht. Keiner wusste, was mit ihnen allen geschehen sollte. Es schien, als wolle der König sie hier einfach vergessen. Und wo waren Laszlo und sein Bruder Mathias?
Je mehr Zeit verging, desto unruhiger wurde Gábor. Er, der von Anfang an gegen die Reise nach Buda gewesen war, hatte den jungen Grafen immer wieder gewarnt. Er hatte einen Spion am Königshof postiert und noch am Nachmittag des
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