Mondherz
ohne dass er ihnen Antwort gab. Veronika sah Paulo an, der am Rande der Gruppe stand. Er blieb wie immer stumm im Hintergrund, doch seine dunklen Augen blickten sorgenvoll.
Endlich kam auch die Gräfin herbeigeeilt, ein Wolltuch um die hageren Schultern gewickelt. »Welche Nachricht bringst du?«, rief sie dem Mann zu, noch ehe sie bei ihm angelangt war.
»Der König hat Eure beiden Söhne in Buda gefangen gesetzt«, antwortete er. Sein Blick war düsterer als die Wolken, die sich über ihnen zusammenballten. »Er beschuldigt sie, ein Mordkomplott gegen ihn geschmiedet zu haben.«
Die Gräfin wankte. Ihr Gesicht schien auseinanderzufallen, so sehr verzerrte sich ihre Miene. »Das kann nicht sein.« Sie packte den Boten am Arm. »Das darf er nicht. Er hat Laszlo doch den Bruderschwur geleistet.«
»Er sagt, der heilige Eid wäre erzwungen worden«, erwiderte der Bote. Er wand sich unter ihrem Griff. »Der Erzbischof von Buda hat ihn davon losgesprochen.«
»Nein!«, schrie sie so laut, dass das Pferd des Boten scheute. Zwei Männer bändigten es, während die Gräfin erneut taumelte und wohl gestürzt wäre, hätte ihre Zofe sie nicht gestützt. Veronika hörte die Versammelten durcheinanderreden. Sie selbst war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Sie fühlte einen Druck auf der Brust, als würde sie eine Kette aus Steinen tragen. Wo war Gábor, wo war Miklos?
Als hätte der Bote ihre stummen Ängste gehört, ergriff er erneut das Wort. »Auch Graf Hunyadis Gefolge wurde festgenommen, all seine Berater und sogar seine Knappen«, berichtete er. »Euer Stadthaus wurde von den Truppen geplündert und ging in den Besitz des Königs über. Ich bin wohl der Einzige, der noch aus der Stadt fliehen konnte.«
»Ich muss dorthin«, rief die Gräfin, die sich wieder aufgerichtet hatte. »Ich muss den König selbst für meine Söhne um Gnade bitten!«
Veronika hob den Kopf. Ein Gedanke durchfuhr sie eisklar. »Das solltet Ihr nicht tun«, sagte sie leise, und als alle sie anstarrten, wiederholte sie es lauter. »Er würde Euch nur ebenfalls gefangen nehmen.«
Die Gräfin starrte sie an, als wolle sie Veronika mit ihren Blicken erstechen. »Du hast mir gar nichts zu sagen«, zischte sie. »Deine Leute waren es doch, die dies alles verschuldet haben.« Sie trat einen Schritt auf Veronika zu, die Hände in die Seiten gestemmt.
Veronika regte sich nicht, doch der Zorn über die ungerechte Beschuldigung schwoll in ihr wie eine Flutwelle an. »Der König hat auch Personen, die mir wichtig sind, in seiner Gewalt«, stieß sie hervor.
»Sie haben es nicht besser verdient«, ereiferte sich die Gräfin. Sie wischte sich so heftig über die Wangen, als wären ihre Tränen Stechmücken, die sie erschlagen musste. »Was haben sie schon für meinen Laszlo getan? Und wo sind sie jetzt, da er ihre Hilfe braucht?« Ihr Mund verzerrte sich vor Abscheu. »Mein Bruder Michael ist der Einzige aus eurem Bund, der sich trotz eures teuflischen Bluts noch Ehre im Leib erhalten hat.«
Veronika biss die Zähne so fest zusammen, dass ihre Wangen schmerzten. Die Wut brauste in ihren Ohren. Sie wollte die Gräfin schlagen, bis ihr selbstgerechtes Geschwätz endlich verstummte. Diese Frau war doch tatsächlich kurz davor, das Geheimnis der Werwölfe zu verraten! Erkannte sie nicht, dass sie mit ihrem Leben spielte? Die Wölfin knurrte.
Verräterin! Sie muss sterben.
Veronika widerstand jedoch. Obwohl die Wölfin über ihren Rückzug vor Verachtung schnaubte, senkte sie den Kopf. Wut war die falsche Ratgeberin.
»Verzeiht meine unbedachten Worte, Herrin«, sagte sie. »Ich werde mich zurückziehen.«
»Tut das. Und untersteht Euch, mir noch einmal unter die Augen zu treten!« Die Worte der Gräfin waren hämisch, doch Veronika hörte dahinter die Hilflosigkeit, die sie ebenfalls empfand.
Mit bleischweren Füßen ging sie zurück in ihre Kammer. Draußen hatte der Tag inzwischen Einzug gehalten, und wie im Hohn brach sogar die Sonne durch einige Löcher in der Wolkendecke. Veronika zog die Vorhänge vor und legte sich auf ihr Bett, sprang dann wieder auf, ging durch den Raum, kauerte sich auf den Boden. Ihre angstvollen Gedanken überwältigten sie wie eine Horde Kriegsknechte, die sie mitleidlos folterte. Sie sind tot, sie sind tot, schrien sie und lachten dabei. Sie zeigten ihr Miklos, wie er sich gegen den Henker wehrte, sein vernarbtes Gesicht vor Angst und Wut verzerrt, und sie sah Gábor blutüberströmt daliegen, sein Antlitz im Tod
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