Mondherz
letzte Glocke zur Nacht schlägt, drehst du ein Stundenglas um. Schleich zur Stiege auf der Rückseite des Hauses, sobald der Sand verronnen ist. Ich warte dort auf dich. Mein Bruder wird die Wache an der Pforte bestechen, damit sie unseren Ausflug für sich behält.« Sie blinzelte Veronika verschwörerisch zu, dann schlüpfte sie zur Tür hinaus zu der Kammer, die sie sich mit einer weiteren Frau aus dem Gefolge der Cillis teilte.
Anka behielt recht, Elisabeth kündigte tatsächlich bald an, sich schlafen legen zu wollen. Selbst jetzt mochte sie sich jedoch nicht von ihren neuen Spielsachen trennen. Veronika half ihr, das Nachtgewand anzulegen und die Geschenke an ihrer Seite in einer Reihe aufzustellen. Dann löschte sie das Licht und legte sich neben sie, ihr Oberkleid und die Sanduhr griffbereit. Ihr Herz pochte so aufgeregt, dass sie fürchtete, Elisabeth könne es hören. Als ihr die Cousine nach einer Weile die Hand auf den Arm legte, keuchte sie vor Schreck.
»Entschuldigung«, murmelte das Mädchen verschlafen. Sie richtete sich ein Stück auf, ihre Augen zwei glitzernde Punkte in der Dunkelheit. »Veronika, wirst du immer bei mir bleiben?«
Veronika legte eine Hand auf die Brust, unter der ihr Herz immer noch ausschlug wie ein rebellisches Pferd. Zärtlich blickte sie zu Elisabeth hinüber. »So lange dein Vater es erlaubt, werde ich bei dir sein, ja«, erwiderte sie leise. Elisabeth seufzte, so dass sie sich beeilte hinzuzufügen: »Das wird bestimmt noch lange so sein.«
»Versprichst du mir das?«, fragte das Mädchen.
»Ich verspreche es dir.« Veronika fuhr ihr über das Haar und küsste sie auf die Stirn. Brennend durchfuhr sie das schlechte Gewissen, als sie daran dachte, dass sie ihre Cousine bereits in den nächsten Stunden hintergehen würde. »Schlaf jetzt.«
Als endlich das letzte Sandkorn durch den Glaskolben fiel, war der Lärm der Feiernden in den unteren Stockwerken längst verstummt. Veronika erhob sich mit klopfendem Herzen. Dass Elisabeth aufwachen und ihr Fehlen bemerken könnte, bereitete ihr keine Sorgen. Wenn ihre Cousine erst einmal schlief, dann gelang es nicht einmal Kanonendonner, sie vor dem Morgen wieder zu wecken.
Mit gerafftem Kleid huschte sie an den Kammern ihrer Tante Katarina und deren Gefolge vorbei, bis sie endlich die schmale Stiege fand, die auf der rückwärtigen Seite des Hauses entlangführte. Sie war für das Personal eingerichtet worden, und Veronika konnte nur hoffen, dass niemand um diese Zeit noch einen Bediensteten losschickte, um ein spätes Nachtmahl zu bringen. Anka war noch nicht da. Veronika ging ein paar Stufen hinab und ließ sich dann auf der hölzernen Treppe nieder, lehnte den Kopf gegen die Holzwand, die sie vom Hinterhof trennte. Über ihr wand sich die Treppe weiter nach oben, zu den Lagerräumen und einem Turmzimmer, das, wie ihnen die mürrische Gräfin Hunyadi erklärt hatte, der persönliche Rückzugsort ihres Gatten war. Veronika hatte vorher noch nie ein Stadthaus mit einem eigenen Turm auf dem Dach gesehen. Die Hunyadis waren wirklich seltsame Leute, dachte sie.
Die Zeit verstrich, ohne dass sich etwas regte. Hatte Anka ihre Verabredung vergessen? Dumpfes Gemurmel drang aus dem Stockwerk unter ihr, und unwillkürlich spitzte sie die Ohren. Dort musste das Nebenzimmer des Saales liegen, in dem sie gefeiert hatten, ein karger Raum mit einem Schreibpult und einfacher Bestuhlung. Jemand hatte während des Festmahls die Tür offen stehen lassen, und so hatte sie hineinschauen können. Wer führte um diese Uhrzeit dort wohl noch Gespräche?
Neugierig ging sie auf Zehenspitzen ein paar weitere Stufen hinunter. Das Holz unter ihren Füßen knarrte sachte. Sie beugte sich nach vorn und legte das Ohr an die Mauer. Jetzt konnte sie die Stimmen besser hören. In einem der Sprecher erkannte sie ihren Onkel Cilli, die anderen beiden waren vermutlich die Hunyadis, Johann und sein ältester Sohn Laszlo. Sie meinte den Namen der Stadt Novo Brdo aufzuschnappen. Die Männer sprachen allerdings ungarisch, eine Sprache, von der Veronika nur Bruchstücke verstand. Enttäuscht wollte sie sich bereits abwenden, als unter ihr eine Tür laut klappernd zugeschlagen wurde. Sie hielt die Luft an und drückte sich gegen die Wand. Hastige Schritte erklangen und eine weitere Tür wurde aufgestoßen.
»Euer Durchlaucht, ich muss Euch sprechen!« Es war die Stimme von Pater Anton. Der Mann klang schrill und außer Atem. Er sprach deutsch. Veronika horchte
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