Mondherz
seines Hemds aus schlichtem Linnen wirkte der Mann unter den vielen geschmückten Gästen fehl am Platz.
Wer er wohl war? Die wenigen Menschen, die in der Hauskapelle der Hunyadis Platz fanden, waren sorgfältig ausgesucht. Er musste bedeutender sein, als sein Erscheinungsbild zeigte.
»Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra.«
Manieren kannte er jedenfalls keine. Sooft Veronika auch verstohlen zu ihm hinsah, nicht einmal hatte er die Augen von ihr abgewendet. Während sie zunehmend irritiert die Worte des Gebetes murmelte, traf sie das erste Mal direkt seinen Blick. Er mochte vielleicht fünfundzwanzig Lenze zählen, doch seine Augen schienen uralt zu sein. Unwillkürlich erschauerte sie. Ihr schien, als könne er in ihrer Seele lesen wie in einem Buch, dessen Sprache nur sie beide verstanden. Wer war er? Sie verkrampfte ihre gefalteten Hände, die begonnen hatten zu zittern. Ihre Lippen bewegten sich weiterhin zur lateinischen Litanei, während die Zeit stehenblieb.
»Et ne nos inducas in tentationem. Sed libera nos a malo. Amen.«
Erst als die Stimmen verklangen und der Pater über den gebeugten Köpfen das Kreuzzeichen schlug, wandte sich der Mann von ihr ab und sah wieder nach vorne.
Veronika biss sich auf die Lippen. Was hatte sein Verhalten zu bedeuten? Es kam manchmal vor, dass Männer ihren Blick suchten, doch nie verzichteten sie dabei auf ein anzügliches Lächeln oder mehrdeutige Gesten. Vor ihnen galt es sich zu hüten, denn meist waren es Lüstlinge, die jeden Rock hoben, den sie einfangen konnten. Ein paar von ihnen trieben sich immer in Ulrich Cillis Gefolge herum, der ebenfalls kein Sohn von Traurigkeit war.
Der Mann hatte sie jedoch angestarrt, ohne das geringste Gefühl zu zeigen. Als wäre sie eine Ware, die er abgeschätzt und schließlich für nicht würdig befunden hatte. Seltsamerweise war sie enttäuscht, obwohl sie ihn doch gar nicht kannte, und das ärgerte sie.
»Pah!«, entfuhr es ihr, was ihr ein paar verwunderte Blicke einbrachte. Sie schob ihr Kinn nach vorn und blickte stur geradeaus.
Als die Trauung vorüber war, schritt Elisabeth an der Hand ihres frisch Angetrauten durch die Kapelle. Die Menge hatte Mühe, weit genug zurückzuweichen, um dem Paar einen Weg frei zu machen. Veronika fand sich unfreiwillig an eine der französischen Rittergemahlinnen aus Gräfin Cillis Gefolge gepresst. Hastig entschuldigte sie sich bei der älteren Frau, die sich mit missmutiger Miene über ihr ärmelloses Surcot aus blauem Samt strich, als fürchtete sie, das Mädchen hätte ihr das Obergewand zerrissen. Veronika wandte sich ab und reckte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf Elisabeth zu erhaschen. Ihre Cousine hatte die Lippen angespannt aufeinandergepresst. Schweißtropfen glitzerten an ihren Schläfen. Mathias Hunyadi sah nicht viel glücklicher aus als sie. Vermutlich umklammerte Elisabeth seine Hand so fest wie eine Daumenschraube.
Schon öffnete sich die Tür, und grelles Licht fiel von draußen herein. Als das junge Paar in die Sonne trat, erschallten auf dem Hof laute Stimmen. Zuerst glaubte Veronika, dass es Hochrufe waren, doch dann schälten sich aus dem Stimmengewirr Worte heraus.
»Die Türken marschieren durch Serbien!«, hörte sie. »Sie haben bereits Novo Brdo eingenommen!«
Chaos brach in der Kapelle aus. Manche Ritter drängten nach vorne, und die meisten Anwesenden redeten mit fassungslosen Mienen durcheinander, einige gestikulierten wild. Veronika sah den dunklen Fremden, der sie beobachtet hatte, an Hunyadis Seite. Mit ernstem Gesichtsausdruck flüsterte er dem Grafen etwas ins Ohr. Der Feldherr sah blass vor Sorge aus.
Veronika wurde von den angsterfüllten Menschen hin- und hergeschoben. Auch in ihren Gedanken hallte ein einziger Satz.
Die Türken kommen!
Plötzlich taumelte die Dame im blauen Samtsurcot neben ihr. »Mon Dieu, les Ottomans, ils viennent par ici!«, brachte sie keuchend hervor, dann fiel sie direkt in Veronikas Arme. Das Mädchen bewahrte gerade noch ihr Gleichgewicht, als sie die bewusstlose Französin mit beiden Armen umfing. Veronika schnappte nach Luft. Wie nah waren die Türken bereits? Am liebsten hätte sie die Frau fallen lassen und wäre hinausgerannt. Sie musste sich irgendwo verstecken!
»Vergebt mir, Euer Liebden, ich helfe Euch.« Ein älterer Mann legte ihr die Hand auf die Schulter, und im nächsten Augenblick hatte er ihr den schlaffen Körper der Französin abgenommen. Das eingestickte Wappen auf seinem seidenen
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