Mondherz
nicht zu schreien. Wenn sie nicht still hielt, würde das Ungeheuer auch sie finden.
Antons Wimmern entfernte sich vom Altar, verzweifelt hastige Schritte verrieten ihr, dass der Pater zu fliehen versuchte. Ein Klicken, wie von Krallen auf dem Steinboden, ein schriller Schrei, dann schlug ein Körper dumpf auf dem Boden auf. Ein Geräusch erklang, so bestialisch, wie es nur Luzifer selbst hervorbringen mochte, ein Reißen, als ob Zähne sich in Fleisch gruben. Der Pater röchelte, übertönt vom fauchenden Schnaufen des Ungeheuers. Veronika schloss die Augen und begann lautlos zu beten. Der metallische Geruch nach Kupfer erfüllte die Luft.
»Das reicht, Miklos, er ist tot«, sagte der Mann schließlich in scharfem Ton. »Lerne endlich, dich besser im Griff zu haben.«
Ein Tier jaulte auf. Veronika horchte angespannt. Würden die Männer und die Bestie nun gehen? Für einen Herzschlag verstummten alle Laute bis auf ein leises, unregelmäßiges Pfeifen.
»Was ist los, Miklos?«, ertönte wieder die Stimme des Mannes.
Voller Schreck erkannte Veronika das pfeifende Geräusch. Jemand schnüffelte. Schnüffelte so beharrlich, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Konnte die Kreatur sie etwa riechen? Plötzlich kratzten Krallen hektisch über den Steinboden, als etwas in Richtung Altar sprang.
Herr, erbarme dich meiner.
Sie umfing ihren Kopf mit den Armen und presste sich gegen den Altarstein, wollte die Augen schließen, doch schon war das Wesen heran. Sie sah unheilig glänzende Augen und einen Höllenschlund mit spitzen Zähnen, dann wurde sie von einem pelzigen Körper zu Boden gedrückt. Scharf wie Klingen bohrten sich Zähne in ihre Schulter.
»Miklos, nein!« Jemand riss an dem Ungeheuer, das ihr ganzes Sichtfeld ausfüllte. Er schaffte es, das Tier von ihr herunterzuschieben.
Der Biss versengte ihre Haut wie glühendes Eisen, und Schlieren des Schmerzes begannen, ihre Sicht zu trüben. Sie sah zu dem Mann hoch, der sie überrascht anstarrte. Es war der Mann aus dem Gefolge Hunyadis, der Mann mit den uralten schwarzen Augen. Sie erkannte ihn, auch wenn sich sein Blick um Jahrhunderte von der ausdruckslosen Musterung heute Mittag unterschied. Dann senkte sich der gnädige Schleier der Bewusstlosigkeit über sie.
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2 . Kapitel
Buda, Juni 1455
D ie Dunkelheit hüllte die Mauern der Stadt in einen schwarzen Schleier. In der Ferne zuckten Blitze über den Horizont und tauchten den Wolkenhimmel für kurze Momente in schmutziges Grau. Die Schwüle drückte Tieren und Menschen aufs Gemüt und verwehrte ihnen den erholsamen Schlaf. Selbst die Stille zwischen den Donnerschlägen verharrte in gespannter Erwartung.
Gábor atmete tief ein. Bald würde das Gewitter Buda erreichen. Er spürte es bereits. Die Spannung in der Luft prickelte auf seinen Armen.
Er blickte über das schwarze Wasser der Donau. Miklos kauerte vor ihm auf der Schaluppe, die sie für teure Gulden von einem Fischer aus Pest geliehen hatten. Zu zweit waren sie damit über den rasch fließenden Fluss gerudert und näherten sich nun dem nördlichen Ende der Klosterinsel Margitsziget. Leise gurgelnd schwappte das Wasser gegen das Ufer. Als die Bootspitze sachte gegen eine Baumwurzel stieß, griff Miklos danach und hielt sich fest. Ohne Zögern sprang Gábor auf den schmalen Uferstreifen, der das Wasser von der Klostermauer trennte. Er drehte sich zu Miklos um. Der Junge hatte eine Kapuze übers blonde Haar gestülpt, einzig seine Augen waren zwei helle Flecken in der Dunkelheit. Gábor nickte ihm knapp zu. Sein Schüler würde dieses Mal keine Eigenmächtigkeiten begehen. Miklos’ Reue, das Mädchen gebissen zu haben, war ihm nach seiner Rückverwandlung deutlich anzumerken gewesen – und Gábor hatte seitdem nichts unternommen, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Bereits bei der Tötung des Priesters hatte er keine Zeit gehabt, ihr Vorgehen genau zu planen. Nun jagten sie den Folgen von Miklos’ übereilter Verwandlung hinterher wie einem Haken schlagenden Hasen, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war es gewohnt, selbst die Orte und Wege seines Handelns zu bestimmen.
Er drehte sich zur Mauer um. Ritzen und Unebenheiten im Stein boten ihm genug Halt, um die Mauer rasch hinaufzuklettern. Auf der anderen Seite ließ er sich zu Boden gleiten. Sein Atem ging kaum schneller, während er sich neu orientierte. Der Klostergarten war dunkel und ruhig. Die Dominikanerinnen hatten ihr Nachtgebet beendet und die meisten von ihnen
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