Mondkuss
dies schon sehr früh zu Herzen genommen und gehöre zu den Frühaufsteherinnen.“ „So, so. Ganz das Gegenteil von mir. Ich bin nämlich eher eine Nachteule. Ich liebe die Nacht. Den Mond. Die Stille.“ „Hm, scheint so, als hätten wir nicht viel gemeinsam.“ Marleen begann dies zu bedauern. Dann schalt sie sich selbst. Was zerbrichst du dir den Kopf darüber? Was kümmert es dich? Wir sind uns fremd. Und nach diesem Essen werden sich unsere Wege trennen. Rafaels sinnliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Was soll’s? Gegensätze ziehen sich an.“ Er füllte ihr Glas mit Prosecco, den ein Kellner brachte, und wie auf Kommando griffen beide nach ihren Gläsern. „Ich hab’s“, rief Rafael. „Prosecco. Wir mögen beide Prosecco. Das haben wir immerhin gemeinsam.“ „Stimmt. Das bleibt uns.“ Sie erwiderte sein Lächeln und spürte einen Aufruhr in sich, wie sie ihn noch nie zuvor gespürt hatte. In den nächsten Stunden leerten sie die angebrochene Flasche, und es kam eine weitere hinzu. Das Essen war köstlich, die Atmosphäre ungezwungen, und sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zuletzt so gut amüsiert hatte. Sie lachten viel und redeten ununterbrochen. Dabei wurde sie sich mehr und mehr bewusst, wie anziehend sie ihn fand. Auch Rafael begehrte sie glühend. Dabei war sie ganz und gar nicht der Typ Frau, der ihm normalerweise zusagte. Eigentlich bevorzugte er blonde und zierliche Frauentypen. Außerdem war Marleen der Typ „erfolgreiche Geschäftsfrau“, eine elegante Karrierefrau. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie in einer der riesigen Banken arbeiten würde und dort eine ganze Abteilung unter sich hätte. Oder wenn sie an der Börse tätig wäre und dort das Sagen hätte. Doch er hütete sich davor, sie danach zu fragen, denn das hätte wohl oder übel zur Folge, dass sie ihm die passende Gegenfrage gestellt hätte. Dazu war es allerdings noch zu früh. Eine Frau wie sie würde sich augenblicklich zurückziehen, wenn sie von seinem Beruf als Callboy und Stripper erfahren würde. Und das wollte er nicht. Also lenkte er das Thema geschickt auf vollkommen unverfängliche Dinge, scherzte mit ihr und war froh, dass dieser Kelch vorerst an ihm vorüberging, in der Hoffnung, dass die Zeit für ihn spielen würde, und dass es ihr ab einem gewissen Zeitpunkt egal wäre, was er beruflich tat. Sie war hinreißend, wenn sie einen Schwips hatte, und den hatte sie eindeutig. Schmunzelnd lauschte er ihren Schilderungen. „Ich weiß, es klingt irgendwie merkwürdig, wenn ich das sage, aber es ist nun mal so: Schöne Männer mag ich eigentlich gar nicht. Ich meine so richtig schöne. Du bist die berühmte Ausnahme.“ „Du findest mich also schön?“ Rafael blickte ihr tief in die Augen. Ein leises Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Marleen wurde nervös. Sie versuchte ein belangloses Lächeln, was ihr misslang, verzog daraufhin ihr Gesicht zu einer Grimasse und knurrte: „Ja, ich finde dich schön. Zufrieden?“ „Nein.“ Seine Miene wurde ernst. „Zufrieden werde ich erst sein, wenn ich deine Seele berühren durfte.“ Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Dann unterbrach Rafael das Schweigen. „Was hast du gegen schöne Männer?“ „Wer sagt, dass ich etwas gegen sie habe? Ich ziehe es einfach nur vor, sie nicht zu nah an mich herankommen zu lassen.“ „Was ist passiert?“ Sie zögerte. Ein Blick in seine Augen ließ die Worte wie von selbst über ihre Lippen fließen wie ein Bach, der sich seinen Weg durchs Tal sucht und ihn auch findet, ohne auf andere Eventualitäten zu achten. „Chris war sein Name. Ich hatte das Gefühl, ein Engel würde vor mir stehen. Er war fünfundzwanzig, fünf Jahre älter als ich, und sein Lächeln raubte mir den Verstand. Liebe auf den ersten Blick oder so etwas in der Richtung. Ja, so kann man es beschreiben. Ich wusste nicht, ob ich wachte oder träumte, dachte, solche Dinge gäbe es doch nur im Film! Er hat mich mit seinem wunderbaren Wesen, seinem Lächeln und seinen Blicken gefesselt und in seinen Bann gezogen. Ich vergaß alles um mich herum, lebte nur noch für ihn.“ Sie legte eine kleine Pause ein, blickte aus dem Fenster und fuhr dann fort: „Er war nicht nur schön, sondern auch gescheit, witzig und charmant. Kein Wunder also, dass ich begeistert war. Nur damals kannte ich die Weisheit ‚von einem schönen Teller isst man nie allein’ noch nicht. Ich habe ihn mit meiner damals besten Freundin erwischt. Ja, und das war’s
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