Mondkuss
und sie begann sich einzugestehen, dass sie bisher wahrhaftig etwas verpasst hatte. Das Grollen kam näher, wechselte sich mit zaghaften Blitzen ab. Einige Regentropfen fielen herab. Und dann war es so weit. Blitze zuckten. Der Donner grollte unnatürlich laut. Die Intervalle des Donnergrollens wurden kürzer. Das Gewitter befand sich genau über ihr. Ihre Sinne weiteten sich, jede Zelle ihres Körpers sog die magisch aufgeladene Luft und dieses tosende Schauspiel in sich auf. Sie hatte Gewitter schon immer gemocht, den grell zuckenden Blitzen schon als Kind mit Faszination zugeschaut. Sie lachte auf, eilte mit kleinen schnellen Schritten, klappernden Absätzen und einer Grazie – die Rafael, der ganz in der Nähe stand und sie beobachtete, ein Raunen entlockte – weiter und schaffte es gerade noch, in einen schützenden Durchgang zu gelangen. Der dunkle Himmel öffnete seine Schleusen und schüttete eimerweise kühles Nass herab. Der Regen peitschte durch die Straßen, das viele Wasser konnte gar nicht so schnell abfließen, wie es von oben kam. Der prasselnde Regen bildete auf der Wasserschicht der Straße Blasen, und die Straßenrinnen verwandelten sich in kleine reißende Bäche. Rafael verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich mit der linken Schulter an die Wand eines Durchgangs ganz in der Nähe und beschloss, sie noch eine Weile zu beobachten, bevor er sich ihr zeigte. Das dunkle Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern und der helle Trenchcoat, den sie trug, ließ ihre Taille noch schmaler wirken, denn sie hatte den Gürtel in der Taille eng zusammengezogen. Ihre Schuhe waren edel und betonten ihren schlanken Fuß. Schwarze, hauchzarte Strümpfe umhüllten ein Paar schmaler Fesseln und wohlgeformte Waden. Sie blickte trotzig in den Regen hinaus, als wollte sie die Dominanz der Natur nicht akzeptieren und das Wetter als persönlichen Angriff werten. Rafael musste lächeln – und als hätte sie sein Lächeln gespürt, wandte sie ihr Gesicht in seine Richtung und blickte ihn an. Überrascht, irgendwie auch empört und doch erfreut. Ein resigniertes Schulterzucken seinerseits, ein Lächeln ihrerseits, und schon war es wieder zu spüren – das unsichtbare Band. Es blitzte und donnerte ohne Unterlass. Der Regen fiel mit unverminderter Heftigkeit. Noch immer schaute sie ihn an. Wortlos, fasziniert und auch sehr erwartungsvoll. Ein Auto fuhr langsam vorüber, das Wasser spritzte in Fontänen zu beiden Seiten auf, die Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe und sie lachte, als einige Spritzer sie erwischten. Das Gewitter endete so plötzlich, wie es begonnen hatte und als nur noch vereinzelte Tropfen fielen, löste sich Rafael von der Wand und näherte sich ihr. Marleen blieb, wo sie war, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und blickte ihn nach wie vor mit sehnsuchtsvollem Blick und leicht geöffneten Lippen an. Er reichte ihr die Hand, und sie ließ sich bereitwillig von ihm fortführen. Immer noch wortlos, die Magie des Augenblicks genießend. Es regnete nicht mehr, aber der Himmel war nach wie vor verhangen. Rafael führte sie ein paar Straßen weiter zu einem Parkplatz. Hier stand sein Wagen. Er öffnete ihr die Autotür, lächelte ihr zu und nahm sie fest in den Arm, hauchte einen Kuss auf ihre Schläfe. „Schön, dass du gekommen bist.“ Marleens Herzschläge nahmen zu. Atemlos und vollkommen gefangen von diesem verzauberten Moment ließ sie sich in das weiche Leder des Sitzes sinken. „Wo fahren wir hin?“, ergriff sie erstmals das Wort. „An einen Ort der Lust.“ Rafael hatte hinter dem Steuer Platz genommen, beugte sich zu ihr hinüber und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Sein Mund entzündete Feuer auf ihrer zarten Haut. Sie wollte mehr, doch Rafael löste sich von ihr, legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen und lächelte. „Oh, ja … an einen Ort der Lust. Dort lassen wir uns auf einen Teppich aus Leidenschaft sinken und hüllen uns ein in eine Decke aus Sinnlichkeit.“ „Hört sich geheimnisvoll schön an. Genaueres willst du mir nicht verraten?“ „Lass dich überraschen.“ Rafaels dunkle Augen ruhten auf ihrem emotionsgeladenen Gesicht. Er wusste, dass sie gerne die Kontrolle behielt, es fast schon brauchte. Doch er wollte, dass sie sich fallen ließ. Ihm vollkommen vertraute. Sich ihm hingab, ohne Wenn und Aber. Dies war der Schlüssel zu ihrer Seele, denn trotz allem war sie eine Frau, die unbewusst ihren Meister suchte. Ihn schon lange gesucht, aber nie
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