Mondkuss
löste ihr Haar, das sie nur flüchtig am Oberkopf zusammengebunden hatte. Weich fiel es auf ihre Schultern, umrahmte ihr erhitztes Gesicht. Ein wenig Mascara, Lipgloss und Puder. Sie beschloss, dass mehr nicht nötig war. Die unzähligen Farbkleckse, die sich auf ihrem Kleid eingefunden hatten, entlockten ihr ein Lächeln. Sie war stolz auf sich, dass sie das Abenteuer „Wohnzimmerstreichen“ selber in Angriff genommen hatte – zum ersten Mal in ihrem Leben. Voller Motivation griff sie erneut zur Rolle und verpasste der nächsten Bahn einen warmen Farbton. Das Klingeln der Haustür riss sie aus ihrem Tun. Ein flaues Gefühl im Magen und eine große Portion Vorfreude kämpften in ihrem Körper um Vorherrschaft, und noch ehe sie sich einig werden konnten, stand Rafael auch schon vor ihr – voll bepackt wie ein Weihnachtsmann. Glücklich empfing sie seine Lippen und rief beim Blick auf die gefüllten Tüten erstaunt: „Du liebe Güte. Was hast du vor?“ „Lass dich überraschen.“ Er trat ein, stellte die Tüten ab und nahm sie in den Arm. „Hallo, Prinzessin.“ Gemeinsam schlenderten sie zur Stätte ihres Wirkens. „Nicht schlecht. Obwohl es ganz so aussieht, als könntest du etwas Hilfe brauchen.“ „Ach, ja?“ Sie blickte ihn zärtlich an. „Und du nahst nun als mein Retter in der Not und befreist mich von diesem Zustand?“ „Das ist eine meiner leichtesten Übungen.“ Rafael durchschritt den Raum, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und inspizierte die Malutensilien, die überall verstreut lagen. Dann griff er zur Rolle. „Moment. Ich gebe dir einen Kittel. Sonst ist dein schneeweißes Hemd anschließend bunt.“ „Blinkern da gerade ein paar mütterliche Instinkte durch?“ In seinen Augen tanzten tausend kleine Teufelchen. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, legte er die Rolle beiseite und begann die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Marleen blieb vor Faszination und Überraschung der Mund offen stehen. Gebannt schaute sie zu, wie er sich lasziv bewegte und sein Hemd über die Schultern gleiten ließ. Mit einem verführerischen Augenaufschlag drehte er sich um, präsentierte ihr sein knackiges Gesäß und warf das Hemd mit Schwung auf einen der Sessel, die in der Mitte des Raumes standen. Dabei ließ er seine Hüften kreisen. Sie hatte sich wieder gefangen, lachte vergnügt auf. Dann begann sie ihn mit lauten Rufen und Klatschen anzufeuern. „Das haben wir gern“, rief Rafael, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute sie gespielt tadelnd an. „Statt Arbeitsmoral finde ich hier ein frivoles Lechzen nach einem sündigen Tanz vor. Ran an die Arbeit – hopp – hopp.“ „Spielverderber.“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Lachend machten sie sich bei Radiomusik mit guter Laune und viel Elan an die Arbeit. Während Rafael sich um die großen Flächen kümmerte, pinselte Marleen die Ecken und Kanten nach, die sie vorher nicht ganz so genau mit Farbe bedacht hatte. Sie arbeiteten konzentriert, schweigend und hatten es bald geschafft. „Schön ist es geworden“, freute sie sich. „Vielen Dank für deine Hilfe.“ „Was hast du als nächstes vor? Ich hoffe, du willst nicht auch noch den Fußboden abschleifen?!“ „Sieht mein Fußboden denn so renovierungsbedürftig aus?“ „Weder – noch. Ich bin Pessimist, und für mich gibt es nichts Schlimmeres, als Fußböden abzuschleifen. Ich hasse das unumgängliche Geräusch, das dabei entsteht.“ „Na, da hast du aber Glück, dass ich mit meinem zufrieden bin, wie er ist. Außerdem habe ich jetzt genug von Renovierungsarbeiten. Ich wünsche mir, dass die Farbe bald trocknet, damit ich endlich mein Lieblingsbild aufhängen kann. Ich habe es an dem Tag gekauft, als ich dir aus der Galerie in die Arme gesegelt bin.“ Bei ihren Worten durchschritt sie den Raum und zog zwischen den zusammengestellten Möbeln eine Leinwand hervor. „Darf ich vorstellen – das ist ‚Todsünde’, ein Bild, das mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Tag für Tag bin ich zur Galerie gegangen und habe es bewundert. Wohl wissend, dass es farblich nicht in meine Wohnung passt. Dennoch musste ich es haben. Ja, und nun bist du Zeuge, wie das Wohnzimmer dem Bild farblich angepasst wurde.“ Interessiert betrachtete Rafael das Bild und gab einen Laut des Erstaunens von sich. „Das Bild ist von Helena“, rief er aus. „Helena Denhoven, erfolgreiche Malerin und Frau meines besten Freundes.“ „Du kennst die Malerin?“ Marleen war Feuer und Flamme. „Sogar
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