Mondlaub
sie nie lange. Früher oder später machte jemand eine Bemerkung über seine Mutter, die Fremde, die den Platz der wahren Fürstin usurpiert hatte, und das war gewöhnlich das Ende der wenigen Freundschaften, die sich trotz der Umstände ergaben.
Layla, die sich sehr rasch eine verletzende Überheblichkeit zugelegt hatte, um sich gegen das Gefühl der Zurückweisung zu schützen, beschloss bald, zufrieden mit der Lage der Dinge zu sein, denn so hatte sie Tariq ganz für sich. »Wir brauchen sie nicht«, sagte sie einmal zu ihm. »Sie sind sowieso alle nur eifersüchtig, weil der Emir Mama geheiratet hat und nicht ihre Mütter.«
Die Zwillinge vergötterten ihre Mutter, wogegen ihr Vater, den sie nicht sehr häufig sahen, eine distanzierte, Ehrfurcht gebietende Erscheinung für sie war - der Fürst, den Vater zu nennen ihnen nicht einfiel, bis ihre Mutter ihnen sagte, dass es dem Emir gefallen würde. Als die Zwillinge fünf Jahre alt wurden, war es Zeit für Tariqs ersten Lehrer. Jedermann war unangenehm überrascht, als er sich weigerte, ohne seine Schwester unterrichtet zu werden.
Es entsprach nur dem Brauch, in diesem Alter die allmähliche Trennung von Mädchen und Jungen einzuleiten, und der erste Schritt sollte Tariqs Unterricht sein. Es war so offenkundig logisch, dass sich niemand die Mühe gemacht hatte, es den Kindern zu erklären. Doch die Zwillinge, die sich sonst so leicht von ihrer Mutter lenken ließen, begriffen das Offensichtliche nicht. Sie aßen nichts, schrien und tobten stundenlang und blieben unansprechbar, bis Isabel nachgab. Sie wusste sehr gut, dass die Zwillinge eigentlich nur sich selbst hatten, auch wenn sie es nicht gerne zugab.
Auch Abul Hassan Ali wusste es, und er ließ sich von ihr überreden.
Also wurden die Zwillinge gemeinsam unterrichtet und blieben zusammen, auch wenn Fatima, die Amme, zuversichtlich äußerte, sie würden sich in ein paar Jahren schon ohne Mühen voneinander trennen lassen. Der Lehrer, der ihnen lesen und schreiben und schließlich die Anfangsgründe der Wissenschaften beibringen sollte, hatte das auch schon bei den älteren Prinzen getan; da aber sein weiterer Verbleib bei Hofe durch die Favoritin Zoraya gesichert worden war, stand er ihr - und ihren Kindern - nicht feindlich gegenüber.
In die Geheimnisse der Schrift einzudringen, machte die Unterschiede zwischen Tariq und Layla einmal mehr offensichtlich und stärkte in ihrer Umgebung die Verwunderung über das enge Band zwischen ihnen. Layla verfügte über die schnellere Auffassungsgabe und sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, das gelegentlich deutlich werden zu lassen. Sie vergaß nichts und niemanden, vor allem keine Kränkung, während Tariq zwar sehr schnell aufbrauste, aber ebenso rasch vergaß und vergab.
Er machte leidenschaftlich gern Geschenke und wäre als Sohn jeder anderen Frau wahrscheinlich der Liebling seiner Halbgeschwister gewesen. Doch zu seinem Unglück sah er noch nicht einmal wie ein Araber aus.
Er war ein wenig pummelig, wenn auch nicht eigentlich dick, und erinnerte seine Mutter mit seinen hellbraunen Locken, der Stupsnase und den Grübchen an die Engelsdarstellungen, die sie in ihrer Kindheit in Kapellen gesehen hatte. Einige der Jungen neckten ihn gerne damit, dass er das Mädchen sei, nicht seine Schwester, doch da Tariq verbissen daran arbeitete, stärker und schneller als alle seine Altersgenossen zu werden, hörte die Neckerei nach einigen schmerzhaften Prügeleien bald auf.
Layla sah zwar keineswegs wie ein Junge aus, aber sie wusste schon bald, dass sie nach den Maßstäben aller Menschen, die sie kannte, hässlich war. Ihre Nase war zu lang und zu dünn, sie hatte schmale Lippen und ein spitzes Kinn, und was Tariq zu viel an Gewicht hatte, fehlte ihr. Nur die Augen der Zwillinge glichen sich vollkommen; sie hatten beide die großen dunkelblauen Augen ihrer Mutter und ihre geraden, kräftigen Brauen.
Für Layla war ihre Mutter der Inbegriff der Schönheit, und ihre eigene Unzulänglichkeit wurde ihr zum ersten Mal während eines weiteren Zusammenstoßes zwischen Isabel-Zoraya und Alscha bewusst.
Isabel und Layla befanden sich im Bad, ein beliebter Ort, denn durch die Fenster mit ihren kunstvollen Holzgittern im zweiten Geschoss konnte man fast alles sehen, was sich in den Höfen abspielte, ohne selbst gesehen zu werden. Das Bad war nur durch den Harem erreichbar, nicht von außen, und es machte Layla Spaß, sich im Wasser zu entspannen und dabei alle
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