Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
möglichen Menschen zu beobachten.
    Sie plätscherte noch vor sich hin, während ihre Mutter sich von einer Sklavin abtrocknen ließ, als die sorglose Stimme von Alscha über die Wasserdämpfe hinweg zu ihnen drang: »Ein Junge, der wie ein Mädchen aussieht, und ein Mädchen, das aussieht wie eine verhungerte Katze - eigentlich kann man nur Mitleid mit ihr haben.«

    Alscha kam niemals in das Bad, wenn Isabel dort war, und Layla, die das wusste, erstarrte. Ihre Mutter beugte sich zu ihr nieder und legte ihr den Finger auf den Mund. Sie bedeutete auch der Sklavin, zu schweigen, und da erst bemerkte Layla, dass sie in ihrer Nische von Alscha aus nicht zu sehen waren.
    War sie zufällig hier, oder war es Absicht? Layla schaute zu ihrer Mutter, die sich langsam ankleiden ließ, und jetzt drang der Inhalt dessen, was Alscha gesagt hatte, in ihr Bewusstsein.
    Erst kürzlich hatte Layla Fatima nach dem Alter ihrer Mutter gefragt, und die Amme hatte die Achseln gezuckt. »Zwanzig, einundzwanzig, was weiß ich.« Layla fand, ihre Mutter wirkte noch jünger und verkörperte mit ihrer schlanken Gestalt, den makellosen Brüsten und dem langen Haar, das ihr bis über die Hüften reichte, alles, was die Dichter in den Liedern, die sie täglich hörte, priesen. Sie schreitet stolz einher in grünem Kleide/Sich wiegend wie im Blätterschmuck der Ast/Ihr Blick wirkt wie des Schwertes scharfe Schneide/Ihr Antlitz strahlt des vollen Mondes Glast…
    Das Mädchen zweifelte daran, jemals auch nur etwas von diesem Glanz zu besitzen. War ihre Mutter sehr enttäuscht dar über? Sie wirkte nicht beunruhigt oder verärgert durch Alschas plötzliches Erscheinen oder die Bemerkungen der ersten Frau, nur etwas angespannt. Layla blieb im Wasser, ohne sich zu bewegen, aber es hatte seinen Zauber verloren. Ihr war kalt.
    Eine Weile hörte man nur Flüstern und Wispern, dann erhob sich Alschas Stimme von neuem aus dem ebenmäßigen Gemurmel. »Also gut, ich will es euch verraten«, sagte sie heiter.
    »Mein Gemahl und ich haben beschlossen, Muhammad mit einer von Ali al Atars Töchtern zu verheiraten. Er kommt ja bald zurück, und dann wird die Vermählung stattfinden.«
    Einige der anderen Frauen schrien entzückt auf. Durch Laylas Mutter ging ein Ruck. Dann, als wäre ihr eine Idee gekommen, begann sie schnell, sich wieder auszuziehen, bedeutete ihrer Sklavin aber gleichzeitig, Layla aus dem Wasser zu holen und anzukleiden. Währenddessen ging die Unterhaltung im gegen überliegenden Bereich des Bades weiter.
    »Morayma«, antwortete Alscha auf die Frage nach dem Namen der Braut. »Mein Sohn könnte es kaum besser treffen. Sie ist von makelloser Abstammung, und Ali al Atar gehört zu den Mächtigsten in Granada.«
    Isabel war fertig. Sie gab der Sklavin ihre Sachen, nahm Layla bei der Hand und ging so, wie sie war, zu Alscha hinüber. Wie immer, wenn die beiden Gemahlinnen des Herrschers sich begegneten, schwieg alles, was sich im Raum befand. Layla hatte nicht oft die Gelegenheit, Alscha zu sehen, aber irgendwie gelang es der Fürstin jedes dieser wenigen Male, dem Mädchen instinktive Furcht einzuflößen, auch diesmal, als sie nackt auf einer Bank lag und sich massieren ließ.
    Alscha, stellte Layla für sich fest, war um einiges älter als ihre Mutter, und man sah es, aber niemand hätte sie als alte Frau bezeichnet. Ihre Augen - schwarz und groß, wie der Prophet es als Ideal forderte - waren von Kälte und Triumph zugleich erfüllt, als ihre Rivalin vor ihr stehen blieb. Sie hat gewusst, dass wir hier sind, dachte das Kind. Langsam setzte die Fürstin sich auf.
    Laylas Mutter machte eine kurze anerkennende Geste mit der Hand. »Meinen Glückwunsch, Sejidah«, sagte sie, »zu der Hochzeit Eures Sohnes… und seiner Rückkehr.«
    Alscha zog die Brauen hoch. »Das scheint überraschend für Euch zu kommen«, erwiderte sie honigsüß. »Hat mein Gemahl Euch noch nichts von unseren Plänen erzählt?«
    Isabel ließ Layla los und verschränkte beide Hände hinter ihrem Kopf, eine Bewegung, deren sinnliche Herausforderung Layla erst später klar wurde. Sie dehnte sich ein wenig, fuhr mit den Fingern durch ihr langes Haar und sagte mit gut gelaunter, trä ger Stimme: »Ach, wisst Ihr, er hat es wahrscheinlich vergessen… wir hatten so viele andere Dinge… zu bereden.«

    Dann drehte sie sich um, nahm Layla wieder bei der Hand und verließ das Bad, während alle anwesenden Konkubinen, Sklavinnen und Alscha empört hinter ihr herstarrten.

    Isabel

Weitere Kostenlose Bücher