Mondmilchgubel Kriminalroman
Visitenkarten.»Hier, falls Sie die Polizisten Kunz oder Möller anrufen wollen. Sie können sich bei Ihnen jederzeit über Ihren Sohn erkundigen.«
»Die lassen meinen Bub nicht so schnell wieder laufen. Für die ist doch längst klar, dass er der Mörder ist. Nein, die werden ihn mir nicht zurückbringen. Was hat mein Bub bloß im Mondmilchgubel gesucht?«
»Ist es nicht so, dass Ihr Sohn nach seiner Arbeit gern noch ein bisschen in der Gegend herumkurvt?«
»Ja, er hängt an seinem Mofa. Sie sollten sehen, wie er es jeden Abend putzt.«
»Hat die Polizei es inzwischen zurückgebracht?«
»Nein.«
»Wann ist seine Tour gewöhnlich zu Ende?«
»Das hat mich der Polizist auch gefragt. So zwischen zehn und elf.«
»Kennt sich Ihr Sohn oben bei der Wolfsgrueb aus?«
»Sicher. Als meine Frau noch lebte, sind sie und der Bub an den Sonntagen manchmal wandern gegangen.«
»Vielleicht haben sich Ihr Sohn und Iris ab und zu im Mondmilchgubel getroffen?«
»Nein, das glaube ich nicht. Mein Bub ist am liebsten zu Hause.«
»Hat er Iris Brunners Namen nie erwähnt?«
»Kann schon sein.« Das Gespräch strengt ihn an. Er möchte es beenden.
»Haben Sie sich Sorgen gemacht, als Ihr Sohn gestern nicht zum Mittagessen nach Hause kam?«
»Kari ist pünktlich wie eine Uhr. Deshalb wusste ich sofort, dass etwas passiert ist.«
»Verlief seine Tour immer nach dem gleichen Schema?«
»Ja. Mein Bub braucht in seinem Leben Ordnung, damit er nicht durcheinanderkommt.«
»Führt er eine Liste von seinen Kunden?«
»Ja, aber jedes Mal, wenn ein neuer Kunde dazukommt, schreibt er die Liste neu. Die alte Liste müsste irgendwo in der Stube herumliegen. Warten Sie einen Moment, ich hole sie Ihnen.« Kurz danach reicht er der Fremden ein dicht beschriebenes Blatt. Die winzige Schrift erinnert an eine Kinderschrift. Datum, Name, Straße, Telefonnummer, Liefertag, Anzahl Eier, Totalbetrag. Alles mit Längsstrichen voneinander getrennt. Die Namen der Kunden fein säuberlich untereinander aufgelistet. »Mein Bub hat ein gutes Zahlengedächtnis. Er weiß genau, wie viele Eier er wem liefern muss. Das Klärli und ich haben immer wieder über sein gutes Gedächtnis gestaunt.«
»Hat er beim ersten Namen mit seiner Tour begonnen und beim letzten Namen mit seiner Tour aufgehört?«
»Ja, das hat er.«
»In diesem Fall war seine letzte Kundin gestern die Frau Müller?«
»Das ist eine alte Liste. Die neue trägt er immer bei sich.«
»Darf ich diese Liste mitnehmen?«
»Sie haben doch nicht etwa vor, meinem Kari Konkurrenz zu machen?«
»Um Himmels willen, nein. Ich möchte Ihrem Sohn helfen.«
»Mein Bub wirft nichts weg. Die kommen alle in einen Ordner. Wegen der Steuern.«
»Ich bringe Ihnen die Liste wieder zurück. Mein Ehrenwort. Bitte sagen Sie mir, wenn Sie mit den Hühnern Hilfe brauchen.«
Er mustert die vollschlanke Frau mit den gepflegten Händen und den rot geschminkten Lippen. Er mag es nicht, wenn Fremde sich aufdrängen. Die Fremde reicht ihm ihre Visitenkarte.
»Sie können mich jederzeit anrufen.«
Kapitel 8
Kaum hat Viktoria die Tür zu ihrem Haus aufgeschlossen, läutet ihr Handy. Sie starrt auf die Nummer auf dem Display. »Ja?«
»Sind Sie heute Abend gegen acht zu Hause?«
»Ja, aber nur, wenn Sie mit mir ein Glas Wein trinken.«
»Ich trinke nicht, wenn ich arbeite. In einer Ermittlung sind die ersten Tage am wichtigsten. Dazu brauche ich einen klaren Kopf.«
»Kann der Eierkari wieder nach Hause?«
Möller lässt sich zu keiner Antwort drängen. Noch bevor sie sich richtig verabschieden kann, ist die Leitung tot. Seine Unhöflichkeit verärgert sie. Auch, dass er ihr Angebot auf ein Glas Wein ausgeschlagen hat. Was ist es wohl, was diesen Polizisten tagein, tagaus dazu bewegt, sich mit Verbrechen zu befassen? Versucht er vielleicht, durch Disziplin und Ordnung seine eigenen kriminellen Tendenzen auszuloten? Oder glaubt er gar, die Welt verbessern zu können? Sie nimmt sich vor, ihn gelegentlich danach zu fragen.
Sie schiebt Luciens dunkelgrünen Sessel ans Fenster, sodass sie die Berge im Blickfeld hat. Obwohl es im Raum eine bequeme, rote Ledercouch gibt, bevorzugt sie zum Nachdenken den alten Fauteuil. Sphinx macht es sich auf ihrem Schoß bequem. Sie streichelt ihn, überlegt, wie Kuno wohl mit dem Tod seiner Frau umgeht. Lucien hat ihr manchmal vorgeworfen, dass sie dazu neige, Menschen zu kategorisieren und voreilige Schlüsse zu ziehen. Sie schließt die Augen. Immer wieder sieht
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