Mondmilchgubel Kriminalroman
Lokalzeitung wird ausführlicher berichtet.
Tötungsdelikt in Wald. Eine in der Gemeinde Wald wohnhafte 45-jährige Frau wurde am Donnerstag, 21. Juni, in der Brandenfelshöhle (Nähe Wolfsgrueb) tot aufgefunden. Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus. Die Ermittlungen sind in vollem Gange. Die Polizei bittet die Bevölkerung um ihre Mithilfe. Für sachdienliche Hinweise, die zur Klärung dieses Falles führen, ist eine Belohnung von 10.000 Franken ausgesetzt.
Warum setzt Kuno eine Belohnung aus, wenn er davon überzeugt ist, dass Kari der Täter ist?, fragt sich Viktoria. Die Gegend um den Mondmilchgubel ist einsam. Während der Woche sind dort kaum Menschen unterwegs. Sie durchblättert abwesend die Zeitung. Dabei fällt ihr Blick auf eine andere Schlagzeile.
Unwetter mit Kostenfolgen. Ein kurzes, aber heftiges Gewitter zog über Wald und Laupen hinweg und hinterließ massive Schäden an Naturstraßen und Gewässern. Die Feuerwehr Wald musste seit Anfang Juni bereits sechs Mal wegen überschwemmten Kellern und Erdgeschossen ausrücken. Fallholz und liegen gelassenes Astwerk in Bachtobeln bilden ein Gefahrenpotenzial für Gebiete entlang der Bachläufe. Der Gemeinderat hat 140 . 000 Franken für sofortige Sanierungsmaßnahmen an Gewässern und Naturstraßen und für die Behebung von Erdrutschen bewilligt.
Viktoria streicht sich ungeduldig eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Wie winzig und unbedeutend hat sie sich gefühlt, als sie tags zuvor in die vom Regen verschwommene Dunkelheit hinausstarrte. Hat sich die Natur auf diese Weise für Iris’ Tod gerächt? Hat sie ihren geschändeten Körper durch die Fluten gereinigt und alle hässlichen Spuren weggeschwemmt? Iris hat an die Naturkräfte geglaubt und sie verehrt.
In den Zeitungen häufen sich die Meldungen über Umweltkatastrophen. Wirbelstürme, die über den Atlantik fegen, sollen sich in den letzten 100 Jahren mehr als verdoppelt haben. Auch wird über die Überschwemmungsgebiete von Nepal, Indien, Bangladesch und Pakistan berichtet, wo infolge des heftigen Monsunregens Notstand herrscht. Die Waldbrände auf der Insel Gran Canaria wachsen zu einem Inferno an. Über vielen Stränden regnet Asche nieder, und dichte Rauchwolken schieben sich vor die Sonne.
Sie faltet die Zeitungen zusammen, legt sie zum Altpapier, das sich meterhoch auf dem Küchenboden stapelt. Früher hat immer Lucien das Papier gebündelt und entsorgt. Vielleicht ist nun wirklich der Moment gekommen, ihrer Zeitungsmanie ein Ende zu setzen. Maunzend kommt ihr alter Kater angeschlichen und stupst sie fordernd an.
»Hol dir eine Maus, aber bring sie mir nicht ins Haus.«
Als habe Sphinx sie verstanden, rast er durch die offene Tür nach draußen.
Sie atmet erschöpft auf, steigt nach oben und schaltet ihren Laptop ein. Als sie den Begriff ›Amnesie‹ eintippt, spuckt die Suchmaschine innerhalb von Sekunden unzählige Einträge aus. Amnesie wird als Form der Gedächtnisstörung für zeitliche oder inhaltliche Erinnerungen bezeichnet, eine teilweise oder totale Unfähigkeit, sich an vergangene Erlebnisse und Erfahrungen zu erinnern. Als Ursache werden auch schwere seelische Traumata aufgelistet. Sie überfliegt die verschiedenen Ausprägungen. Ihr Blick bleibt auf der hysterischen Amnesie haften, welche die Verdrängung eines qualvollen, unangenehmen Erlebnisses bezeichnet und sich in Form eines Erinnerungsverlustes an die betreffende Zeitspanne äußert. Also eine Art Schutzmechanismus oder Überlebensstrategie, geht es ihr durch den Kopf. Weiter liest sie, dass auf einen vorübergehenden Verlust der Impulskontrolle, der zum Angriff auf das Leben eines geliebten Menschen geführt hat, ein Verlust jeglicher Erinnerung an persönliche Lebensdaten folgen kann. Sie stutzt. Wäre es denkbar, dass der Kari Iris getötet hat und sein Gedächtnis deshalb verlor, weil er die Erinnerung an diese seelische Erschütterung verdrängen will? Wahrscheinlicher scheint ihr aber, dass er Iris tot aufgefunden oder gar dem Mord beigewohnt hat. Vielleicht hat dieses traumatische Erlebnis ein anderes, früheres Trauma überlagert.
Kapitel 7
Das dreistöckige Riegelhaus mit angebauter Holzscheune liegt eingebettet in einer Senke am Bachtelhang, dem Jelmoliberg, wie ihn einige Einheimische spöttisch nennen, weil sich die Städter an den Wochenenden auf ihm tummeln. Die Honeggers nennen ihr Haus zärtlich ihr Heimetli . Die übereinander angeordneten Stockwerkfenster sind
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