Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
brannten. Steif vor Kälte und von dem krummen Sitzen zwischen all den Koffern und Taschen der Schlittengäste, stolperte Lisandra auf die tief verschneite Straße und blieb dort erst mal stehen, sich Hände und Arme reibend. Ihr Atem stieg in Dampfwolken empor zu dem geblichen Licht der magikalischen Straßenbeleuchtung und durch die Wolle ihrer Mütze drangen die Fetzen von ferner Tanzmusik, die aus einem der Gasthäuser mit den erleuchteten Fenstern stammen musste.
Lisandra war hungrig und müde. Sie hatte ein bisschen Geld dabei, eigenes Erspartes und das, was ihre Mutter ihr unbedingt hatte zustecken wollen. Ein bis zwei Silberflöhe, die Lisandra keinesfalls für eine Übernachtung verschwenden wollte. Schließlich konnte sie durch Wände gehen (in ihrem Zustand allerdings nur einmal, danach wäre sie fix und fertig) und das musste reichen. Jetzt galt es nur noch, etwas zu essen aufzutreiben, irgendwie, und dann an einem günstigen Ort den Sprung ins Innere eines Hauses oder Schuppens zu wagen, um darin die restliche Nacht zu verbringen.
Während Lisandra durch die Straßen Quarzburgs schlenderte, wurde ihr wärmer. Sie wurde auch wacher, denn es gab so viel zu sehen in dieser Stadt, selbst am späten Abend. Viele der Leute, die um diese Zeit noch unterwegs waren, zog es zum Golden-Zyklopia, dem größten und teuersten Gasthof der Stadt. Fünfstöckig ragte das Gebäude in den Nachthimmel, ein Bau von schlossähnlicher Architektur mit riesigen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Prächtige Kutschen parkten vor dem Eingangsbereich und uniformierte Diener mit glitzernden Borten an den Ärmeln geleiteten jeden ankommenden Gast persönlich ins Innere des Hauses.
Lisandra hätte das Golden-Zyklopia gerne mal von innen gesehen. Doch in ihrem Zustand und so, wie sie aussah – ölverschmiert in drei zu großen, gestohlenen Mänteln mit einem schäbigen, kleinen Rucksack auf dem Rücken – würde ihr selbst ein Sprung durch die Mauer des Gasthofs nicht helfen. Man würde sie schneller rauswerfen, als ein Morgul rülpsen konnte. Mit Bedauern ob dieser Tatsache wandte sich Lisandra von dem interessanten Gasthof ab und bemerkte etwas abseits eine dunkle Kutsche, die von vier Wächtern umstellt war. Vielleicht waren es Soldaten, so stramm, wie sie da herumstanden. Sie trugen Wappen auf ihrer Kleidung, die Lisandra nicht genau erkennen konnte, doch auf der Kutsche war das gleiche Wappen abgebildet und das war nicht zu übersehen: Es zeigte einen geflügelten Eisbären auf hellblauem Grund – das war das Wappen von Fortinbrack!
Ungute Erinnerungen an die Schlacht um Sumpfloch suchten Lisandra heim. Ein Soldat, der so ähnlich ausgesehen hatte wie diese hier an der Kutsche, hatte ein Geschoss auf sie abgefeuert und sie damit fast getötet. Na ja, nicht nur fast, er hätte sie wirklich getötet, wenn sie nicht das fünfte Erdenkind gewesen wäre, das man angeblich nicht töten konnte. Nur deswegen hatte sie überlebt. Aber es hatte keinen Spaß gemacht, ganz sicher nicht.
Das war im letzten Frühling gewesen. Grindgürtel, der Herrscher von Fortinbrack hatte versucht, die Festung Sumpfloch zu erobern. Er war gescheitert und dann, im Herbst, war er überraschend verstorben, woraufhin sein adoptierter Sohn Hanns zum neuen Herrscher von Fortinbrack ausgerufen worden war. Hanns hatte Amuylett ein Friedensangebot gemacht, das die Regierung angenommen hatte. Nur so war es zu erklären, dass sich Soldaten von Fortinbrack hier in Quarzburg aufhalten durften.
Fortinbrack, das größte der a btrünnigen Reiche, lag hoch oben im Norden, fast das ganze Jahr von Eis und Schnee heimgesucht. Lisandra wurde innerlich kalt, als sie daran dachte. In so einem Land wollte sie weder leben noch regieren. Das war allerdings nicht das Einzige, was sie erschauern ließ. Es war auch der Gedanke an Hanns. Er war nicht so friedlich, wie er behauptete. Er hasste die Regierung von Amuylett, das hatte er Scarlett oft genug erzählt. Was hatte er vor? Und was machten seine Soldaten in Quarzburg?
Es ließ Lisandra keine Ruhe, doch vom Herumstehen wurde ihr kalt. Sie beschloss, eine Runde um das Golden-Zyklopia zu drehen. Vielleicht fand sie ja die Küche oder einen Keller, in dem Lebensmittelvorräte gelagert wurden. Irgendwas, das so verheißungsvoll und ungefährlich aussah, dass Lisandra es wagen konnte, verbotenerweise eine Wand zu durchqueren. Es stellte sich aber heraus, dass das Golden-Zyklopia von einem parkähnlichen Garten
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