Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
umgeben war, der so umzäunt und bewacht war wie die Bank von Tolois, und so ging Lisandra, als sie wieder am Haupteingang angekommen war, ein zweites Mal um den Garten herum, in Gedanken versunken und etwas wehmütig, weil sie sich vorstellte, dass Geicko auch hier irgendwo in der Stadt sein musste, aber sie nicht zu ihm konnte, da er ihr nicht geschrieben hatte, wo er übernachten würde.
Lisandra erschrak fast zu Tode, als jemand plötzlich ihren Arm packte und sie herumdrehte.
„Hey, was schleichst du hier herum?“
Sie starrte in zwei merkwürdige Augen. Es waren silberfarbene Augen mit Pupillen, die nicht rund waren, sondern die Form von flackernden Flammen hatten. So etwas hatte Lisandra noch nie gesehen. Sie starrte in diese Augen, einen stummen Moment lang, dann versuchte sie den Rest ihres Gegenübers zu erfassen:
Der Junge, der vor ihr stand und sie immer noch festhielt, war größer als sie. Aber nicht viel älter, vielleicht ein oder zwei Jahre. Das Gesicht des Jungen war blass und seine Haare und Augenbrauen waren weiß gerände rt wie dunkles Gras, das von Raureif überzogen ist. Er sah aus wie erfroren, doch dafür war er sehr lebendig, vor allem der Griff seiner Hand, die Lisandras Arm umschloss. Sie spürte den Druck durch ihre drei Mäntel hindurch.
Er war nicht allein. Neben ihm stand ein zweiter Junge, etwa genauso groß wie er, mit blonden Haaren und einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Der Mantel mit dem aufgestellten Kragen, den er trug, war bestimmt aus Fulminwolle, ebenso wie der elegante Schal, den er sich um den Kragen gewickelt hatte.
„Li-lisandra!“, rief er. „Du-du bist es also wirklich!“
„Hanns?“
„Ja, ich bin’s. Du-du kennst mich doch noch?“
„Äh ja“, brachte Lisandra hervor. „Ja, schon.“
„Sie ist nicht gefährlich“, sagte Hanns zu dem Jungen mit den komischen silbernen Augen, der Lisandra daraufhin aus seinem festen Griff entließ. Der Junge trat einen Schritt zurück, um sie im Ganzen (mit den drei Mänteln und dem Rucksack) in Augenschein zu nehmen.
„Meine Güte, Hoheit!“, spottete er. „Mit was für Leuten gibst du dich eigentlich ab?“
„Sie ist eine Freundin von Scarlett“, erklärte Hanns.
Lisandra war sprachlos. Sie starrte Hanns an, der nicht so aussah, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Natürlich erkannte sie ihn wieder, aber seine Ausstrahlung war eine völlig andere als vor einem Jahr, als er in Sumpfloch zur Schule gegangen war. Damals hatte er so getan, als sei er arm und elternlos, so wie die meisten Kinder, die es an diese Schule verschlug. Jetzt musste er sich nicht mehr verstellen. Obwohl er stotterte, machte Hanns einen würdevollen, fast einschüchternden Eindruck. Er war schließlich Herrscher eines a btrünnigen Reiches und noch dazu ein Zauberer, der so außergewöhnlich begabt war, dass Grindgürtel ihn trotz seines jungen Alters zu seinem Nachfolger bestimmt hatte.
„Ich da-dachte mir schon, dass du-du es bist!“, sagte Hanns nun zu Lisandra. „Wie schön, dich zu sehen!“
Was daran so schön sein sollte, konnte Lisandra kaum verstehen. Gut, sie hatten ein paar Mal miteinander gesprochen, als Hanns noch mit Scarlett befreundet gewesen war. Aber mehr hatten sie nie miteinander zu tun gehabt. Warum also war diese Begegnung so wahnsinnig erfreulich?
„Wie ge-geht es dir?“
„Willst du es genau wissen?“, fragte Lisandra. „Mir ist kalt, ich bin hungrig und ich weiß nicht, wo ich heute Nacht schlafen soll. Hoheit!“
Der Junge mit den Raureifhaaren lachte, als hätte Lisandra einen Witz gemacht.
„Die mag dich aber gern, Hanns!“
„Mein Vater hat in Sumpfloch ziemlich viel Porzellan zerschlagen“, erwiderte Hanns, ohne zu stottern. „Aber das wird schon wieder.“
Lisandra hob die Augenbrauen. Davon, dass es wieder werden würde, konnte Hanns doch nur träumen! Scarlett hatte jedenfalls die Nase voll von ihrem alten Freund. Und wehe, wenn nicht!
„Du-du bist selbstverständlich mein Gast, Li-lisandra“, sagte Hanns mit einer leichten Verbeugung. „Da-darf ich vorstellen? Da-das hier ist mein Leibwächter und bester Freund Haul!“
Jetzt war es an Haul, sich vor Lisandra zu verbeugen. Er tat es übertrieben und seine Mundwinkel verrieten, dass er sie kein bisschen ernst nahm.
„Tag, Haul“, sagte Lisandra so kühl wie möglich. „Oder gute Nacht, Haul.“
An Hanns gewandt fuhr sie fort:
„Ist er nicht zu jung für einen Leibwächter?“
„Da-das täuscht“, antwortete Hanns.
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