Mondscheintarif
Hofmann schaute mich an. Nicht wirklich freundlich. Eher wie einen untypisch verdickten Mastdarm.
«Wissen Sie, was ich mich die ganze Zeit gefragt habe? Warum sind Sie eigentlich mit diesem Hummer in Richtung Toilette gerannt? Hat Ihnen das Ambiente nicht gefallen? Oder essen Sie Hummer aus Prinzip auf dem Klo?»
Mein Gott! Wie sollte ich das erklären? In wenigen Worten?
Ich redete um mein Leben. Und um mehr als das. Teufel auch! Dieser Mann gefiel mir. Und immerhin hatte ich schon mal Kontakt zu seinen Geschlechtsorganen gehabt.
Während ich was von ‹Putzfrau mit Stullen›, ‹Klassenkampf›, ‹Marx und die soziale Ungerechtigkeit› stammelte, betrachtete ich ihn andächtig.
Blaue Augen, dunkle Haare. So was hat man selten. Und diese Hände! Es wäre eine Sünde, wenn er mit diesen Händen nicht Klavier spielen würde. Ein paar dunkle Haare lugten unter dem Kragen seines weißen T-Shirts hervor. Das ließ auf Brustbehaarung schließen. Ich liebe Männer mit Brustbehaarung! Diese dunkle Insel auf der Brust, die sich zum Nabel hin leicht verjüngt und sich dort wieder erweitert zu einer vielversprechenden Haarverdichtung … Nun ja.
«Es tut mir jedenfalls außerordentlich leid», beendete ich meinen verworrenen Bericht.
Er lächelte mich milde an. So, wie man einen gefährlichen Psychopathen anlächelt, der den Gutachtern im Irrenhaus versucht klarzumachen, dass er völlig normal sei.
«Vergessen wir das. Warum sind Sie heute hier, Frau Hübsch?«
Ohgottohgottohgott! Ich musste improvisieren! Magenschmerzen kamen natürlich unter diesen Umständen nicht mehr in Frage. Unmöglich der Gedanke, mir von diesem Gott, diesem Adonis, das untrainierte Bauchgewebe abtasten zu lassen.
Fieberhaft klapperte ich in Gedanken meinen Körper nach seinen vorzeigbarsten Stellen ab. Ja! Nackenverspannungen. Sehr gut. Die habe ich, seit ich einen Nacken habe, und zur Untersuchung muss man sich wohl kaum frei machen.
«Nackenverspannungen», sagte ich triumphierend. «Ich habe Nackenverspannungen.»
Was dann folgte, war das Demütigendste, was ich jemals erlebt habe. Ich musste mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und mit abgespreizten Armen über eine imaginäre Linie balancieren. Er sagte, er wolle sehen, ob mein Becken schief stünde – aber ich glaube, er wollte sehen, wie ich in verwaschen beblümter H& M-Wäsche mit hochrotem Kopf und abgespreizten Armen über eine imaginäre Linie balanciere. Es war entwürdigend.
Das niederschmetternde Ergebnis dieser Prozedur war, dass Dr. Hofmann eine Verkürzung meines rechten Beines um 1,3 Zentimeter diagnostizierte und mir ein Rezept über Schuheinlagen ausstellte.
«Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?»
Ja! Ja! Sie können mir die Chance geben, alles wiedergutzumachen! Sie können mich fragen, ob ich Sie heiraten möchte! Was sollte ich tun? Was sollte ich sagen?
Hier saß ich. Tumbes, verwachsenes Trampeltier, demnächst mit orthopädischer Einlage im Schuh. Wenn ich jetzt diese Praxis verlasse, würde ich, das wusste ich genau, meines Lebens nicht mehr froh werden.
Ich dachte an Ute Koszlowski. Ich dachte an Bruce Willis. Ich dachte an Verona Feldbusch, die mal gesagt hat: «Mir ist nichts peinlich.»
Also dann. Zu verlieren hatte ich sowieso nichts mehr.
«Ja. Sie können tatsächlich noch etwas für mich tun.»
Er blickte überrascht auf. Meine Güte, war dieser Mann ein Prachtexemplar. Ich stand auf, griff über den Schreibtisch hinweg nach dem Rezeptblock und schrieb meine Telefonnummer drauf.
«Sie können mich anrufen. Bisher kennen Sie nur meine schlechtesten Seiten. Ich habe auch bessere.»
18 : 08
Telefon! Ach, ich fühle mich gerade so unwiderstehlich. Werde einfach nicht drangehen. Soll er mir doch auf den Anrufbeantworter sprechen. Eine Frau wie ich ist am Samstagabend nicht zu Hause.
18 : 09
«’tschuldige, Cora, konnte eben nicht ans Telefon gehen. Bin jetzt aber wieder erreich …»
«Hallo, Jo?!»
«Warum gehst du denn nicht gleich dran?»
«Wollte nur hören, wer’s ist.»
«Ach du Scheiße. Wartest du etwa immer noch auf einen Anruf von deinem Leibarzt?»
«Na ja, nein, ja, also, nicht wirklich, ich …»
«Sag mal, bist du nicht langsam zu alt für so was?» Jo hat eine sehr pragmatische Art. Das kann manchmal sehr hilfreich, aber unter Umständen auch recht verletzend sein.
Es ist ungefähr vier Jahre her, dass Jo zur Marketingleiterin ihrer Firma aufstieg und damit in eine Gehaltsgruppe
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