Mondscheintarif
wurden die besten Freundinnen.
Ich rechne es mir bis heute hoch an, dass ich mich für die Freundschaft mit einem derart gutaussehenden Mädchen entschied. Jo war schon früher eine Schönheit, und mit ihr ins Freibad zu gehen war für mich eine Angelegenheit, die sehr vielCharakterstärke und ein gefestigtes Selbstbewusstsein verlangte. An ihrer Seite wurde ich durchsichtig. Kein Schwein guckte mich mehr an, und wenn ich zu Gesprächen etwas beizutragen versuchte, wurde ich so überrascht angestarrt, als wäre ich gerade in dieser Sekunde erst aus dem Erdboden gewachsen.
Ja, die Freundschaft mit Jo hatte mich Demut gelehrt.
«Was ist nun, Cora? Du willst doch nicht wirklich den ganzen Abend zu Hause sitzen?»
«Wollen will ich nicht. Aber ich kann, glaube ich, nicht anders.»
«Jetzt pass mal auf. Ich muss hier noch ein paar Unterlagen durcharbeiten. Wenn ich fertig bin, ruf ich dich wieder an. Entweder du gehst dann nicht ran, weil er angerufen hat und dich gerade auf dem Küchentisch vögelt. Oder du gehst ran. Und dann, schwöre ich dir, werde ich dafür sorgen, dass wir einen verdammt lustigen Abend haben.»
«Mmmmh. Weiß nicht. Wann rufst du denn … Jo? Hallo?»
Aufgelegt. Ich wünschte, ich hätte auch ein paar Unterlagen durchzuarbeiten.
Nach meinem Besuch bei Dr. Daniel Hofmann schwebte ich wie auf Wolken. Ja! Ich hatte es gewagt. Ich war eine Heldin, so viel war schon mal klar. Egal, ob er sich melden würde oder nicht. Ich hatte mein Schicksal in die Hand genommen.
Als Erstes warf ich das Rezept für die orthopädischen Einlagen in den Müll. Dieses verkürzte rechte Bein hatte mich wacker durch dreiunddreißig Lebensjahre getragen. Und es waren gute Jahre gewesen, alles in allem.
Als Zweites versuchte ich, Jo anzurufen.
«Tut mir leid, Frau Dagelsi ist nicht im Office. Sie hat den ganzen Tag über ein Meeting», sagte ihre Sekretärin.
Office? Meeting? Wie das klingt. Sollte ich jemals indie Situation geraten, eine Sekretärin zu beschäftigen, würde ich als erste Maßnahme wieder Deutsch als Amtssprache einführen.
Ich verbrachte den Tag in aufrechter Haltung. Ich hatte mir meine Würde zurückerobert. Ich verließ das Büro eine Stunde später als sonst und machte dann noch einen ausgiebigen Stadtbummel. Ich wollte nicht in die Verlegenheit kommen, zu Hause zu sitzen und auf seinen Anruf zu hoffen. Außerdem wirkt es sehr lässig, wenn eine Frau die Größe besitzt, einem Mann ihre Telefonnummer zu geben, und dann nicht da ist, wenn er anruft.
Und außerdem, fiel mir dann noch ein, war es ja auch gar nicht wichtig, ob er anruft. Stimmt ja. Hier ging es um die Würde der Frau. Ruf an, ruf nicht an. Ist mir doch egal. Ich bin lässig, innerlich stark.
Ich war niedergeschmettert, als mich zu Hause der Anrufbeantworter mit hämischer Doppel-Null begrüßte.
18 : 11
Der Anrufbeantworter hat uns Frauen eine zweifelhafte Freiheit wiedergegeben. Früher schickte der Galan seiner Angebeteten Briefe oder tauchte zu später Stunde unter ihrem Balkon auf, um ihr etwas Selbstkomponiertes zu Gehör zu bringen. Dasheißt: Dame musste warten, um ihn nicht aus Versehen zu verpassen.
Dann gab es eine ungünstige Zeit von circa siebzig Jahren, wo es zwar das Telefon gab, aber keine Anrufbeantworter. Das heißt: Dame musste warten, um ihn nicht zu verpassen. Es sei denn, sie hatte, wie zu den Anfängen der Telekommunikation üblich, ein Hausmädchen, das die eingehenden Gespräche annahm und somit die Funktion eines Anrufbeantworters innehatte.
Ich weiß noch, wie ich vor etwa zwanzig Jahren auf einen Anruf wartete. Jakob Rödder, unser anbetungswürdiger Klassensprecher, hatte mir in Aussicht gestellt, mich eventuell zu einem Eishockeyspiel mitzunehmen.
Natürlich gab es in unserem Haushalt weder einen Anrufbeantworter noch ein schnurloses Telefon. Der vorsintflutliche Apparat, mit einem unerhört leisen Klingeln und einem Hörer, der in etwa so viel wog wie eine Lammschulter mit Knochen, stand im Flur. Das heißt, ich konnte mich weder in meinem Zimmer aufhalten noch laut Musik hören noch Fernsehen gucken noch baden noch duschen noch im Keller nach Schokolade suchen.
Ich war dazu verdammt, den Nachmittag in dem zugigen Flur zu verbringen. Auch, um meinem Vater zuvorzukommen.
Wie in allen klassisch strukturierten Familien hatte mein Vater als Ernährer gleichsam die Oberhoheit über den Fernseher und das Telefon. Die Emanzipation steckte noch in den Kinderschuhen, und als
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