Mondschwingen (German Edition)
fühlte sich eisern an im
Wind. Ein bisschen, dachte er, nur noch ein bisschen.
Toiva folgte dem Geist,
den Einar geschickt hatte, um ihr den Weg zu zeigen. Sie schwebte dicht den
Wänden, schraubte sich weiter in den Turm hinauf, bis sich alles um sie drehte.
Je höher sie kam, desto schwindliger wurde ihr. Sie stolperte über Stufen, die
Wände um sie herum verwandelten sich in einen Mahlstrom, doch sie rannte
weiter, bis sie Einars Stimme hörte.
Ihre Knie knickten ein,
als sie stehen blieb, sie rutschte mit dem Rücken an kaltem Stein herunter und
drückte fest die Augen zu.
„Die Menschenkönigin
hatte recht.“ Einar stand über ihr. „Wir kommen nicht durch. Die Magier stehen
dort oben auf dem Turm und niemand hält sie auf. Wir können nichts tun.“
Toiva wollte ihn am
Ärmel packen, doch ihre Hand schoss durch seine. „Wir müssen etwas tun! Ich
werde zu einem Menschen, wenn der letzte Mond verschwindet.“ Sie blickte nach
oben, sah das weiße Mädchen und die weiße Frau auf den obersten Stufen des
Turmes. Hinter ihnen war eine offene Tür, die Nacht stand sternenlos im Rahmen.
„Wir alle werden uns
verwandeln, ob wir wollen oder nichts.“
Einar, die weißen Frauen
und die Geister an der Decke starrten sie an, als hielten sie sie für verrückt.
„Wir müssen etwas tun, irgendwas.“ Toiva lief
auf die Tür zu, biss die Zähne zusammen und fuhr die Ellenbogen aus. Der
Aufprall war heftig und schleuderte sie zurück. Blut spritzte ihr aus der Nase
und besudelte ihren giftgrünen Mantel.
„Es nutzt nichts“, sagte
das Mädchen und zuckte mit den Schultern. „Es ist vorbei.“
Vorbei, vorbei, was hieß
denn schon vorbei?
Mit tränennassen Augen
schaute sie zu den Gestalten hinter der Tür. Vier verhüllte Magier standen
stumm und still im Wind und hoben die Arme. Toiva konnte ihre Gesichter nicht
erkennen, die Nacht war zu schwarz.
„Siehst du dort?“ Einar
stand hinter ihr und zeigte an den Magiern vorbei. Ein blasser Streifen erhob
sich über den Zinnen des Turmes. „Noch ist er da, der Mond.“
Toiva streckte den Arm
aus, als wolle sie die helle Kuppe streicheln. Doch ihre Hand berührte die
unsichtbare Mauer im Türrahmen. „Das ist das Ende“, flüsterte sie und weinte.
Die Magier zerfielen zu
Staub, wenn der letzte Mond verschwinden würde. Das hatte die Königin gesagt,
beinahe gelangweilt, als interessierte sie es gar nicht. Alles umsonst.
Linus fasste nach Svijas
Hand und hielt sie ganz fest. Er hätte etwas sagen sollen. Dass sie auch ohne
den Sommerwald glücklich sein konnten. Oder dass der Frühling bald kam. Oder
dass es in anderen Ländern, weit im Süden, viel wärmer war, als in Malvö. Doch
er sagte nichts davon, er hätte geklungen, wie ein Junge, der zu viel träumte.
Svija versteckte das
Gesicht hinter ihren roten Haaren. Niemand sollte ihre Tränen sehen. Sie war
kein Mädchen, das weinte, wenn ihr etwas nicht passte. Sie war stark, wenn sie
nur wollte.
Die immergrünen Bäume
und die süßen Äpfel in den Kronen, der rauschende Bach hinter dem Haus und die
Glühwürmchen in der Nacht. Ihr würde der Sommer fehlen. Heiße Tränen stiegen in
ihr auf und brannten in ihren Augen. Alles umsonst, der ganze Weg.
Die Königin stand von
ihrem Thron auf und kam näher. Ihr Kleid fegte über den Boden.
„Ich will nur Frieden,
nicht mehr als Waffenstillstand zwischen den Menschen und den Elstern. Endlich
Ruhe.“
„Wissen die Magier, dass
sie sterben werden?“ Svijas Stimme klang erstickt.
Die Königin schüttelte
den Kopf. „Sie wussten von nichts. Sie nehmen genauso wie ihr an, dass die
Mondschwingen sterben werden, wenn der Himmel mondlos ist. Hätte ich ihnen die
Wahrheit gesagt, wäre die Burg schon nach wenigen Tagen in Aufruhr gewesen. Ich
kenne die neugierigen Mägde und Fürsten, die nach Neuigkeiten schnappen, wie
Frösche nach Fliegen. Statt ihnen die Wahrheit zu sagen, versprach ich den
Magiern viel Geld, viel Anerkennung … und die Königskrone. Natürlich stimmten
sie zu. Nach allem, was geschehen war.“ Sie umrundete Linus und Svija, bei
jedem Schritt klackerten ihre Schuhe auf dem Marmorboden und übertönten die
Schreie in der Stadt. Es war finster in den Straßen, am Fuße der Burg. Nur
wenige brennende Häuser spien rotes Licht in die Gassen.
Liv
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