Mondschwingen (German Edition)
hielt vor Linus an,
ganz nah vor seinem Gesicht. „Glaubst du mir nun? Jetzt, da du nicht sterben
wirst?“
Svija drückte Linus‘
Hand so fest, dass seine Finger fast zerbrachen.
„Ich glaube schon“,
murmelte er, obwohl er es nicht hatte sagen wollen.
Seitdem er glaubte,
Mortis‘ Geheimnis zu kennen, fühlte er sich ihm wieder näher, als sei ein Teil
von ihm zurückgekehrt.
„Ich dachte, am Ende
siegen die Guten über die Bösen.“ Svija lief zu eines der Fenster und zog Linus
ungeschickt mit sich. „Doch wer genau ist Gut und wer ist Böse, frage ich
mich?“ Zusammen sahen sie in die Nacht und beobachteten den Mond über der
Stadt.
„Ich denke, es ist
soweit.“ Einar seufzte. „Wir müssen gehen.“
Sein Körper war blasser
als sonst, wurde zerfressen von der Dunkelheit.
Er fasste sich an die
Rüstung und hustete laut. „Es geht schneller, als ich dachte.“
Toiva war zu erschöpft,
um zu weinen. Die Geister auf der Treppe zitterten, zogen sich zusammen, wurden
kleiner.
„Geh nicht.“ Toiva sah
zu, wie Einar verschwand, Stück für Stück. „Noch ist es nicht vorbei.“
Einar legte seinen
Finger auf ihren Lippen. Sein Mund bewegte sich, doch er blieb stumm, als hätte
er es sich anders überlegt. „Du warst eine gute Königin“, sagte er schließlich.
Und verschwand. Einar starb zum zweiten Mal.
Toiva wollte nach ihm
greifen, wollte ihn aufhalten, doch sein Körper zerrann zwischen ihren Fingern
wie feiner Sand. Sie hasste den Tod.
Stimmen erklangen hinter
ihrem Rücken. Langsam wandte sie sich um und sah zu den Magiern in die
Dunkelheit heraus. Sie sprachen leise, in einer Sprache, die Toiva nicht
verstand. Sie schwankten, bewegten sich im Wind. So nah wie möglich schob sich
Toiva an die Tür heran, spürte die unsichtbare Mauer an der Nase.
Der Mond lag silbern
über den Zinnen, die Stimmen der Magier wurden lauter, schwollen an. Dann, ganz
plötzlich, taumelte eine der Gestalten und fiel zu Boden. Im selben Moment
verschwand die Wand vor Toiva.
Sie tastete sich durch
den Türrahmen, zog ihr Schwert und rannte los. Hände rissen sie zurück und
pressten sie gegen die kalte Wand des Turmes. „Die Mondschwingen werden zu
Menschen, sagtet Ihr?“, wollte die weißhaarige Frau mit großen Augen wissen.
„Sie verwandeln sich?“
Toiva versuchte sich aus
ihrem Griff zu befreien, doch die Frau war erstaunlich stark. „Ja, doch, das
sagte ich doch schon!“ Ihre Arme wurden fest gegen die Wand gedrückt,
Fingerspitzen gruben sich in ihre Haut.
„Es würde Frieden geben,
oder nicht?“ Weiße Haare strichen über Toivas Gesicht.
„Was soll das?“, hätte
sie gerne geschrien, hätte die Frau geohrfeigt, doch sie war zu müde und zu
schwach.
Die Stimmen wurden lauter,
zerrissen die Stille in der Dunkelheit.
Toiva stemmte sich nach
vorn, drückte sich von der Wand fort, biss in die Schulter der weißhaarigen
Frau. Umsonst, alles umsonst. Tränen rannen ihr übers Gesicht, tropften ihr vom
Kinn. Nur ein paar Schritte, das Ziel war ganz nah. Ein paar Schritte nur und
sie wäre eine gute Königin.
„Ich schätze, es ist
besser so.“ Die Frau kniff die Lippen zusammen, drückte Toiva nur noch fester
gegen die Wand. Es fing an zu schneien, kleine Schneeflocken wirbelten vom
Himmel, zerschmolzen auf Toivas warmer Wange.
Ein letztes Mal zappelte
und trat Toiva, ein letztes Mal versuchte sie sich zu befreien, dann schwieg
sie und lehnte den Kopf an die Wand.
Die Magier wurden still,
ihre Stimmen verloren sich in der Nacht, sie senkten die Arme und hoben die
Köpfe.
Der Mond hinter den
Zinnen verschwand.
ENDE
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