Mondsplitter
er den Stecker des Tischtelefons.
Er ging hinüber und betrachtete sich die Urkunde seiner Teilnahme am Bridge-Turnier von Wilmington. Das war wirklich ein schönes Wochenende gewesen. Eines seiner besten.
Er goß sich ein zweites Glas Scotch ein.
Mondbasis, Raumhafen, 22 Uhr 02
»Ich hole ihn!«
Charlie hatte Evelyns Beitrag zum Telefongespräch mitgehört. »Die Zeit reicht nicht«, sagte er. »Sie wissen nicht mal, wo er steckt.«
»Er ist in seiner Unterkunft. Wo sollte er sonst sein?«
»Er ist jetzt in seiner Unterkunft. Spielt ohnehin keine Rolle. Er hat sich entschieden, Evelyn. Sie müssen das respektieren.« Er zog sie an sich und hielt sie. Ihre Wangen waren naß, und sie zitterte.
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte sie.
»Wie hätten Sie es ahnen können?«
Sie wollte schon antworten, brach jedoch ab und hielt ihn einfach. Und Charlie erinnerte sich an die lautlose Botschaft, die er von Chandler an sie hatte gehen sehen.
»Ich liebe dich.«
»Zur Hölle mit ihm«, sagte sie leise.
7.
Manhattan, 22 Uhr 03
Louise Singfield hatte eine Dachwohnung in einem viergeschossigen roten Sandsteinhaus an der 77. Straße, die vom Central Park abging. Die Wohnung war ideal für eine Mondparty.
Marilyn und Larry kamen mit dem Taxi, stellten sich über Interkom vor und erhielten Einlaß. Sie fuhren mit einem quietschenden Aufzug ins dritte Obergeschoß und nahmen die Treppe ins Dachgeschoß. Louises Tür folgte auf einen schmalen Treppenabsatz.
Von drinnen hörten sie Gelächter und vertraute Stimmen. Marilyn erkannte sofort Doug Cabel, Larrys Boß. Sie mochte ihn nicht, nicht weil er irgendwas getan hätte oder irgendwas wäre, sondern aufgrund der Art, wie sich ihr Mann in seiner Gesellschaft in einen Kriecher verwandelte. Larry war ein guter Mann: Er behandelte sie gut, sorgte für ein anständiges Einkommen, betrog sie nicht und zeigte keine bedeutsamen Laster. Und doch wirkte er eher aufgrund dessen bewundernswert, was er nicht tat, als aufgrund dessen, was er tat. Marilyn war seit drei Jahren mit ihm verheiratet und erkannte allmählich, daß sie sich arrangierte. Die große Romanze hatte sich nicht eingestellt, von der sie auf dem College geträumt hatte und von der sie bei ihrer Arbeit jeden Tag las. Und inzwischen wußte sie, daß sie nie eintreten würde.
Nun, sie hätte es schlimmer treffen können.
Louises Tür ging auf, und da stand die Gastgeberin persönlich. Sie trug eine weiße Bluse mit Marinekragen und Ärmeln und dazu eine Marinehose. Die Bluse war so geschnitten, daß sie den Busen etwas betonte. Ein bißchen viel, wie Marilyn fand, für eine lässige Fete unter Bürokollegen, zu der man sein Getränk selbst mitbrachte.
»Schön, dich zu sehen, Marilyn«, sagte Louise und gab ihr einen leichten Kuß auf die Wange. Sie selbst bekam einen Kuß von Larry und stellte ihren aktuellen Freund vor, einen Mike Irgendwas.
Marilyn kannte die meisten Anwesenden. In Larrys Abteilung sorgte man für viele gesellige Anlässe. Doug unterstützte es und glaubte, es wäre gut für die Moral.
Sie stellten ihre Flasche Jamaica-Rum zum Vorrat hinzu, mixten sich jeder einen Rumcocktail und gingen hinaus auf die Terrasse. Larry brachte Doug seine gewohnte Huldigung dar. Doug verkündete, daß dies wirklich ein toller Abend wäre, und fragte dann, wie man am besten mit Kiplingers Bericht über BRK Merchandising umgehen sollte. Oder irgend so was.
Der Komet war von einem Abend zum nächsten beträchtlich gewachsen. Jetzt beherrschte er den Himmel östlich des Mondes. Die Sterne der Umgebung waren verblaßt, und als Marilyn ganz an den Rand der Terrasse ging, dicht am Dach und weg von der Beleuchtung, fand sie das Licht des Kometen stark genug, um darin zu lesen.
Marv Taylor gesellte sich zu ihr. »Gespenstisch, was?« fragte er.
Marv war Kundenbetreuer wie Larry. Er war still, introvertiert, sanft. Seine Augen waren hellblau, wie der Himmel spät vormittags, und wirkten immer amüsiert und traurig zugleich, als wüßte er, wie es um Marilyn stand. (Wie stand es denn um sie?) Er war unverheiratet. Er hatte eine Verlobte gehabt, als sie ihn kennenlernte, aber die Frau war verschwunden, und Marilyn hatte darauf erleichtert reagiert, aus Gründen, die sie selbst nicht ganz verstand.
»Ja«, räumte sie ein. »Ich habe noch nie so einen Himmel gesehen.«
Er trank nicht. »Das ist ein Abend, von dem man noch seinen Enkeln erzählen kann.«
Marilyn kostete ihren Rumcocktail.
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