Mondsplitter
war davon überzeugt, daß die Nation moralisch rapide verfiel und nur militärische Disziplin die Entwicklung noch umkehren konnte, sofern alle Bürger im Land sich ihr unterwarfen und sie von einer robusten nationalen Polizeitruppe auch durchgesetzt wurde. Er tolerierte Henry Kolladner, weil es seine Pflicht war, aber er zögerte nicht, Ratschläge zu erteilen, normalerweise in der Form, daß er die eine oder andere Praxis kräftig herunterputzte. Ungeachtet all dessen war Graboski nützlich. Er kannte die Ausrüstung hier und wußte, was sie konnte und was nicht. Er verlor nie den Kopf. Er war brutal ehrlich. Und er hatte keine privaten Interessen, die schwerer wogen als seine Treue zu den Vereinigten Staaten. Als Henry eintrat, stand Graboski mit einigen seiner Leutnants zusammen. Er entdeckte den Präsidenten und kam herüber.
»Keine Veränderung, Sir«, sagte er.
Auf den Uhren tickte die letzte Stunde herunter.
»Verläuft der Rettungseinsatz planmäßig?«
»Ja, Herr Präsident. Der Mikrobus hat sein Rendezvous mit der einstufigen Raumfähre präzise nach Plan durchgeführt und ist jetzt im Anflug auf die Mondbasis.« Er berichtete weiter und erläuterte die Bemühungen, an der Westküste Vorräte an Lebensmitteln und Ausrüstung in höherliegenden Gebieten anzulegen. Henry machte sich nicht viel aus Details. Er dachte statt dessen über die letzten neun Monate seiner Amtszeit nach, darüber, was er noch zu erreichen hoffte, über ein paar alte Rechnungen, die er noch begleichen wollte, die Art Spur, die er in der Geschichte hinterlassen wollte. Und er versuchte sich darüber schlüssig zu werden, wie die Ereignisse des heutigen Abends das alles beeinflussen würden. Ob ihn zum Beispiel der Tod eines heldenhaften Vizepräsidenten in ein gutes Licht rückte. Oder ob das krasse Gegenteil eintreten würde. Schließlich konnte man sagen, daß die Eröffnung der Mondbasis ein monumentales Ereignis gewesen war. Der Präsident hätte dabei zugegen sein sollen. Und wie hätte er sich dort gehalten?
Ja, wirklich, wie?
TRANSGLOBAL-NACHRICHTENREPORTAGE, 22 Uhr 05
Hier meldet sich Keith Morley live von der Mondbasis. Ich spreche über Funk mit Tony Casaway, dem Piloten des Mikrobusses, der versuchen wird, uns hier in, äh, ungefähr zwanzig Minuten herauszuholen. Und bei ihm ist seine Copilotin Alisa Rolnikaya. »Tony, wo sind Sie jetzt?«
»Hallo, Keith. Wir sind nahe genug, um die Lichter zu sehen. Wir sind in wenigen Minuten dort.«
»Gut. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, daß wir Sie begierig erwarten. Ich frage mich, ob Sie uns wohl Ihre persönliche Einschätzung der Lage mitteilen würden. Wie sieht es für Sie aus?«
»Möchten Sie die Wahrheit hören?«
»Sicher.«
»Ich möchte Sie ja nicht beunruhigen, Keith, aber die Lage wirkt furchteinflößend. Der Komet steht praktisch über uns. Ich überspiele Ihnen jetzt das Bild aus dem Cockpit.«
»Ich sehe es. Er scheint tiefer am Himmel zu stehen als vorher.«
»Kurz vor dem Aufprall sinkt er unter den Horizont. Oder würde er, wenn man es vom Grat der Kraterberge aus betrachtete. Ich sage Ihnen rundheraus: Ich werde froh sein, wenn ich Sie endlich aufgesammelt habe und unterwegs bin!«
»Ich sage Ihnen rundheraus, daß wir genauso fühlen wie Sie, Tony.« (Leises Lachen.) »Wie ist es für Sie, Saber? Ich sollte erwähnen, daß Alisa Russin ist und hier mit ihrem alten NATO-Funknamen Saber angesprochen wird. Sie beide haben sich freiwillig für diese Aktion gemeldet. Irgendwelche Bedenken?«
»Ich sollte das wahrscheinlich nicht vor der ganzen Welt eingestehen, Keith, aber ich habe Todesangst.«
»Nun, Saber, Sie sollen wissen, daß wir Ihnen dankbar sind, weil Sie uns abholen kommen.«
»Keith?«
»Ja, Tony?«
»Wie fühlen Sie sich?«
»Genau wie Saber. Wir halten uns mit gepacktem Frühstücksbeutel an der Startrampe bereit.«
An Bord der Diligent, USCGC [ix] 344, auf dem East River, 22 Uhr 06
Fregattenkapitän Peter Bolling lauschte dem Grollen seiner beiden V16-Diesel und sah zu, wie die Anlegestellen und Kais vorüberglitten. Sie waren alle verlassen.
»Ist schon unheimlich«, meinte Dan Packard, sein Eins O. Das Ufer war wie immer beleuchtet. Hier und dort patrouillierte eine einsame Gestalt über die Docks, eine Taschenlampe und ein Klemmbrett in der Hand. Dahinter ragten die Wolkenkratzer von Manhattan in einen klaren Himmel auf, unverändert und unveränderlich, zum Spott für die Diligent und die an sie
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