Mondsplitter
ist es wohl.«
»Herr Vizepräsident, wenn wir es heil überstehen, denke ich, werde ich ein anderer Mensch sein.«
»Dann sollten wir die Frauen lieber verstecken«, lächelte Charlie.
Aber der Kaplan sagte nichts mehr.
Die Stimmung war düster geworden. Nach einer Weile wurde die Bahn langsamer. Die automatische Stimme ermahnte sie, vorsichtig zu sein, da eine Kurve kam. Minuten später fuhren sie am Terminal vor. Ehe das Fahrzeug anhielt, stand Morley auf und drehte sich zu den anderen um.
»Sobald wir dort sind«, sagte er, »würde ich gerne aussteigen und die Kamera aufstellen. Und ich möchte Sie mit der Bahn in den Tunnel zurückschicken. Nur für eine Minute. Dann hole ich Sie wieder heraus, damit ich die Ankunft filmen kann.«
Charlie wollte schon protestieren, aber Evelyn drückte seinen Arm. »Machen Sie mit«, sagte sie. »Er hat ein paar Bilder verdient.«
»Falls wir erwischt werden«, sagte Charlie, »wird man mir vorwerfen, ich hätte Bilder inszeniert.«
»Niemand wird es je erfahren«, entgegnete Morley, als sie die Haltestelle erreichten.
»Wissen wir denn, wie man die Bahn zurücksetzt?« fragte der Kaplan.
Morley hatte seine Hausaufgaben gemacht. Er trat an einen Steuerungskasten, öffnete ihn und lächelte sie an.
TRANSGLOBAL-SONDERBERICHT, 21 Uhr 51
Hier spricht Keith Morley vom Raumhafen der Mondbasis. Noch eine dreiviertel Stunde dauert es, bis Komet Tomiko eintrifft. Wir wurden informiert, daß der Vizepräsident und seine Gruppe auf dem Weg hierher sind, um an Bord des Mikrobusses zu gehen, der versuchen wird, sie in Sicherheit zu bringen.
Sie haben die Main Plaza vor wenigen Minuten verlassen und müßten jetzt jeden … Warten Sie, ich denke, ich höre sie kommen …
Mondbasis, McNair Country, 21 Uhr 53
Jack schloß die Tür hinter sich und sank aufs Sofa. Es wurde langsam spät, und falls er sich nicht bald aufmachte, war die Entscheidung hinfällig. Er blickte auf und entdeckte das Foto von Jeanie und den drei Kindern, das vor Jahren an Cape Cod aufgenommen worden war. Damals waren sie alle noch jung gewesen, und Jeanie hatte scheinbar in der Blüte der Gesundheit gestanden. Aber selbst damals hatte die Krankheit sie schon fest im Griff gehabt. Sie kämpfte, bis das letzte Kind aus dem Haus war, und brach dann zusammen. Sechs Wochen später verlor er sie.
Er sah noch weitere Fotos: Hier nahm er von Evelyn einen Preis für besondere Leistungen entgegen, und dort waren seine Gesichtszüge einer Graphik des Mondes unterlegt. Über dem Schreibtisch hing eine lobende Erwähnung durch die Handelskammer in Boston, und neben der Tür eine Schriftrolle der US-Kontrakt-Bridge-Liga:
OFFENE MEISTERSCHAFT, DOPPEL
WILMINGTON, DELAWARE, 2.-4. JUNI 2017
FRED HAWLEY, JACK CHANDLER
Man hatte ihn streng baptistisch erzogen. Das war mit einem Lebensstil verbunden, dem er nur allzu gern entflohen war. Aber inzwischen bedauerte er, den stillen Glauben seiner Kindheit verloren zu haben, die Überzeugung, daß er alle Menschen wiedersehen würde, an denen ihm etwas lag.
Jeanie. Leuchtende Augen. Verschmitztes Lächeln. Das vermißte er mehr als alles andere.
Ihm kam der Gedanke, daß er schon die ganze Zeit lang gewußt hatte, welche Entscheidung er fällen würde. Schließlich hatte er dieses Foto im Regal stehen lassen.
Er ging ins Bad, öffnete den Schrank und nahm eine Packung Beruhigungsmittel heraus. Er schüttete sich ein halbes Dutzend auf die zitternde Handfläche und betrachtete sie lange, ehe er ein Glas füllte und sie hinunterschluckte.
Er hatte seinen Kindern Abschiedsbotschaften geschickt. Er hatte sich dabei auf die Ereignisse bezogen und mehrdeutige Formulierungen gebraucht, die andeuteten, daß es ihm vielleicht nicht gelingen würde zu fliehen. Er wußte, daß Evelyn die Wahrheit vertuschen würde.
Er legte den Kopf in die Kissen zurück, schloß die Augen und wartete darauf, daß die Tranquilizer Wirkung zeigten.
Mondbasis, Raumhafen, 21 Uhr 57
Morley redete in die Microcam hinein, während sie wieder an der Haltestelle vorfuhren: »… hier sind sie jetzt«, sagte er gerade. Seinen Anweisungen folgend, stieg Evelyn als erste aus der Bahn. Dann Charlie. »Herr Vizepräsident«, sagte er und dirigierte Charlie zentral ins Blickfeld der Kamera, die er an einer Wand montiert hatte. »Ich frage mich, ob ich Ihnen ein paar Worte entlocken kann. Wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick?«
Dumm. Aber Charlie gab sein Bestes: »Man
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