Mondsplitter
Es war Erdbeere. »Larry denkt, er würde verglühen. Er sagt, astronomische Sachen, besonders Kometen, würden immer verglühen.«
Marv lächelte. »Er hat wahrscheinlich recht«, sagte er.
Sie blickte ihm in die Augen. Marv Taylor, ich würde dich sehr gern flachlegen. Aber sie hatte es nicht vor. Falls sie hätte sicher sein können, damit durchzukommen, hätte sie vielleicht ernsthaft über einen Versuch nachgedacht. Sie fühlte sich zu wenigstens einer echten Leidenschaft in ihrem Leben berechtigt. Aber sie wäre erwischt worden. Larry hätte davon erfahren.
Andererseits – wenn heute wirklich das Ende der Welt bevorstand, wie manche Leute sagten, was machte es dann schon aus?
Weißes Haus, Oval Office, 22 Uhr 04
Der Mond war durch die Fenster nicht zu sehen. Henry hatte eine Hotline für die Staatsgouverneure geschaltet, hatte sich einer Mobilisierung der Nationalgarde widersetzt (die nur denen im Land Vorschub geleistet hätte, die ohnehin leicht in Panik gerieten), mit den Staatsoberhäuptern von zwei Dutzend Ländern geredet, volle US-Beteiligung an einer UNO-Einsatzgruppe genehmigt und sich mit einer Plauderstunde am Kamin, ganz im Stil von Franklin D. Roosevelt, über das Fernsehen an die Nation gewandt.
In solchen Dingen war er besonders gut. Al Kerr hatte ihm einmal erklärt, er würde förmlich Aufrichtigkeit verströmen. Er hatte Verständnis für die Unruhe der Menschen, hatte Henry heute abend erklärt. Sie erlebten ja auch etwas, was sehr beunruhigend war. Amerikaner gehörten jedoch nicht zu denen, die verzweifelt mit den Händen rangen und Angst verbreiteten. (Tatsächlich hatten die Medien, dachte er, sehr gute Arbeit dabei geleistet, die Dinge unter Kontrolle zu halten.)
Sollten irgendwelche Auswirkungen der fernen Kollision (er betonte fern besonders) in den USA spürbar werden, dann, so versicherte er der Nation, wäre die Regierung bereit, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu handeln. Das Militär war für den unwahrscheinlichen Fall aufmarschiert, daß seine Hilfe benötigt wurde. Alle Dienststellen des Bundes hielten sich bereit.
Und er selbst wollte den Abend im Weißen Haus verbringen. Er würde einen guten Film ansehen, und rechnete nicht damit, gestört zu werden.
Fast so, als wäre ihm die Idee gerade erst gekommen, fügte er hinzu, daß sich Vizepräsident Haskell weiterhin auf der Mondbasis befand. Er wäre stolz auf den Vizepräsidenten und die fünf tapferen Amerikaner, die bei ihm ausharrten. (Hier hatte er sich vergaloppiert. Morley war Neuseeländer, Hampton aus dem Senegal, der Kaplan ein Brite, und natürlich war einer der beiden Piloten des Mikrobusses, wären die überhaupt erwähnt worden, eine Russin. Aber egal. Die Nation hatte es nötig, aufgerichtet zu werden.) Ein Rettungsunternehmen wäre in diesem Moment schon im Gang, und er zeigte sich optimistisch, daß alle in Sicherheit gebracht werden konnten.
Al schüttelte ihm anschließend die Hand. Es wäre eine meisterhafte Aufführung gewesen. Der Präsident hatte aus seiner Wohnung im ersten Obergeschoß des Westflügels gesprochen. Die büchergesäumten Wände, das prasselnde Feuer (ein Computereffekt, denn es war für die Jahreszeit sehr warm), die Familienportraits, all das hatte die Sendung mit einer Atmosphäre der Sicherheit und Beschaulichkeit angereichert.
Natürlich war kein Film für heute abend geplant.
Nach der Sendung kehrte Henry ins Oval Office zurück, nahm einen Anruf von UN-Generalsekretär Elie Kopacca zu einem ganz anderen Thema entgegen und machte sich auf den Weg nach unten in den Lagebesprechungsraum. Im Holotank näherte sich eine Kometensimulation dem Mare Muscoviensis. Displays zeigten den Kometen aus einem Dutzend unterschiedlicher Perspektiven. Hinter einer Glastrennwand saßen ein Dutzend Operatoren an Computern und Telefonen. Überall sah man Uniformen. Henry entdeckte Mercedes Juarez, vertieft in ein Gespräch mit dem Verbindungsmann der Bundesagentur für Krisenmanagement.
Der Raum war im wesentlichen eine militärische Einrichtung und normalerweise ein relativ langweiliger Ort, der der Bequemlichkeit des Oberbefehlshabers diente. War jedoch eine Krise voll im Schwung, verwandelte er sich in das Nervenzentrum der Nation. Der dafür zuständige Offizier war Konteradmiral Jay Graboski.
Graboski war so etwas wie ein Griesgram. Er empfand keine großen Sympathien für Zivilisten, rangniedrigere Offiziere, Reporter oder Angestellte des Weißen Hauses. Er
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