Mondstahl - Die Schlucht (German Edition)
Nebel vereinigten - brodelndem, heilendem Nebel, der nicht von dieser Welt war. Aus diesem Dunst stieg eine illuminierte Gestalt. Sie war nur schwer zu erkennen, denn das Mondlicht schimmerte durch sie hindurch. Es war der Rhaichi, der Höchste der Waldgeister, vereinigt aus allen Waldgeistern der Wälder von Jahowal. Seine Stimme erhob sich, es war, als käme sie dumpf aus dem Inneren der Erde. Der Tanz hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Arme der schemenhaften Kreatur waren zum Mond erhoben.
„Du, der du uns dein magisches Licht gesendet hast. Großer Mond. Du bist jedes Mal bei uns, wenn sich die Geister der Wälder treffen um dein heiliges Metall zu schmieden. Dein Stahl soll verwendet werden, um Jahowal weitere tausend Jahre zu schützen, zu wahren und zu einen. Möge der Stahl des Mondes zu seinem Zwecke verwendet werden, im Guten wie im Schlechten!“
Bei diesen Worten zischte ein Blitz aus den Wolken. Er durchbrach gleißend die Dunkelheit der Wälder und schlug im Zentrum des Hains ein. Mit einem Mal war der Rhaichi verschwunden. Die Waldgeister zerstreuten sich und flogen zurück in ihre Heimatwälder. Alles war still geworden und der Mond verschwand hinter einer schwarzen Wolke. Der Tanz der Waldgeister war vorbei.
So war es schon unzählige Male zuvor gewesen. Doch diesmal war etwas anders.
Nur wenige Meter vom heiligen Hain entfernt zitterte die Erde. Eine Gestalt, gehüllt in einen schwarzen Mantel, brach aus ihr hervor. Erst wühlte sich eine faltige Hand aus dem Grund, dann die zweite, schließlich der ganze Körper. Er wuchs aus dem Boden wie ein Baum. Als sich der Mann vollständig aus dem Erdreich befreit hatte, klopfte er sich die Erdbrocken und den Staub von den Kleidern. Sein schlüsselbeinlanger Kinnbart war braun vom Dreck, doch dazwischen konnte man silberne Strähnen aufblitzen sehen. Die Augen, die in faltige Lider eingebettet waren, blitzten lebhaft. Obwohl er in seinem langen Leben viel erlebt hatte, war er sprachlos über das, was gerade geschehen war.
Sein Name war Galenis, er war ein vielgereister Gelehrter, ein Zauberkundiger. In seinem Orden war er spezialisiert auf alte Mythen und ihre Erforschung. Obwohl als einfacher Mensch geboren, hatten ihm die rätselhaften Künste ein wahrhaft übermenschlich langes Leben ermöglicht. Sein Alter war in diesen Tagen nicht mehr zu leugnen, doch sein Geist war lebhaft wie zuvor. Dieser Umstand war nun im Funkeln seiner Augen zu erkennen. Er war soeben Zeuge von etwas geworden, das noch niemand vor ihm zu sehen vermocht hatte.
Er näherte sich dem heiligen Hain mit vorsichtigen Schritten. Knisternder Dampf lag in der Luft. Dieser Ort flößte ihm Respekt ein. Plötzlich blieb er stehen, mit ungläubig geweiteten Augen.
Er hörte etwas, das dem Schreien eines kleinen Kindes sehr nahe kam. Ängstlich und hilflos, wie nur ein frisch geborener Mensch schreien konnte. Einen kurzen Moment lang dachte Galenis, es wäre nur eine Täuschung seines überforderten Geistes. Dann jedoch musste er sich eingestehen, dass es tatsächlich real war. Irgendwo an diesem heiligen Ort musste sich ein Neugeborenes befinden. Sein Blick betastete die Umgebung. Das feuchte Gras, die Runensteine, das fahle Mondlicht. All diese Eindrücke durchwanderten seinen Kopf und vermischten sich mit der Stimme des Kindes. Plötzlich entdeckte er es, eingewickelt in ein schwarzes Tuch, am Boden liegend und wild mit den kleinen Ärmchen rudernd. Die Augen des Alten verengten sich zu Schlitzen. Langsam ging er auf das Kleine zu. Was hatte ein Kind hier zu suchen? Noch dazu ein ganz gewöhnliches Menschenkind? Er fand es nur einen Meter hinter einem der Sakralsteine.
Behutsam nahm er es in den Arm. Der Hilferuf des Kindes erlosch, als es die Wärme des erdbeschmierten Mannes bemerkte. Galenis schüttelte ungläubig den Kopf. Er selbst hatte das Spektakel, das für jedes sterbliche Geschöpf verboten war, nur deshalb überlebt, weil er sich in der Erde versteckt hatte. Rings umher in den Büschen standen Statuen verschiedener Kreaturen. Rehe, Hasen, Menschen und andere Geschöpfe, für die er keinen Namen wusste. Sie alle mussten in den vielen vergangenen Jahrtausenden den Fehler gemacht haben, diesen Ort in der Nacht des Tanzes zu besuchen. Wie nur konnte ein kleines Kind dem Zauber der Geister widerstehen?
Es war mittlerweile eingeschlafen. In Galenis Kopf schwirrten viele Fragen. Woher kam dieses Kind? Warum hatten die Geister es nicht
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