Mondstahl - Die Schlucht (German Edition)
bemerkt? Und der alte Mann stand vor einer weiteren schweren Frage. Was sollte er mit dem Kind anfangen? Er war nicht für das Kinderhüten geschaffen und hatte Arbeit zu erledigen. Es zu behalten kam nicht infrage. Was sollte er also tun? Die einfachste Lösung wäre, es in einer Menschenstadt vor einem Waisenhaus auszusetzen. Dann wäre es nicht mehr sein Problem. Aber andererseits…
Wenn er es abgeben würde, hätte er nicht mehr die Möglichkeit, seinen weiteren Weg zu beobachten. Dabei ging es ihm nicht um emotionale Belange. Das Kind musste etwas Besonderes sein. Und auf irgendeine Art stand es im Kontakt mit dem Tanz der Waldgeister. Also traf Galenis eine Entscheidung.
„Ich werde ein geeignetes Heim für dich finden“,
raunte er dem schlafenden Kind zu. Er bemühte sich um die großväterlichste Stimme, zu der er imstande war. Er war nie ein besonders emotionaler Mann gewesen, hatte sich mehr auf seine Arbeit denn auf flüchtige Beziehungen zu anderen Menschen konzentriert. Trotzdem verstand er nun, was die Leute an Neugeborenen fanden.
„Und ich werde dich im Auge behalten.“
Er wickelte den Kleinen in seinen erdverkrusteten Mantel ein und verschwand in den Büschen.
Es wurde soeben Morgen, der Hahn stand schon auf dem Dach der kleinen Scheune, neben den Viehställen. Sein Schrei hallte über das kleine Gehöft, wurde von den Wänden der gebückten Häuser zurückgeworfen. Es war der Schrei eines heimlichen Herrschers. Er durchschnitt die Luft wie Butter und der Bauer und seine Frau erwachten.
Es war ein ärmlicher Hof, in der Nähe eines kleinen Baches, aus dem die Leute Wasser und Fisch bezogen. Zum Besitz des Bauern gehörten noch ein kleines Waldstück, eine Viehweide und zwei Felder, auf denen er Getreide anbauen konnte. Für eine reiche Provinz in den Menschenlanden wäre es ein großer Besitz gewesen, doch hier, im spärlich besiedelten Südland war es ein kaum nennenswerter Grundbesitz.
Der Herr des Hofes hieß Norath, ein Mann um die dreißig Jahre, dessen Vorfahren aus dem Norden gekommen waren, als Flüchtlinge eines der vielen Kriege unter den Menschen. Er hatte den Hof noch nie verlassen, wie schon sein Vater vor ihm, und wusste nichts von der Welt um ihn herum. Seine jüngere Frau Mathilde hingegen war in ihrem Leben schon weit herumgekommen. Ihre Eltern waren Artisten in einem Wanderzirkus, der aus Not in diese menschenleere Gegend gekommen war. Sie wurden das Opfer eines Wolfsrudels und nur die Tochter überlebte. Norath fand sie beim Holzschlagen und nahm sie zur Frau. Das war vor gut zwanzig Jahren geschehen. Doch zum Leid der beiden war es ihnen nie vergönnt gewesen, eigene Kinder zu bekommen. Mathilda schien nicht für das Gebären gemacht zu sein und nirgends im Umkreis gab es einen Apothekarius, der ihr in einer schwierigen Schwangerschaft zur Seite stehen konnte. Schließlich hatten sie ihren Wunsch begraben.
Norath wischte sich den Schlaf aus den Augen, nahm einen Krug mit Apfelwein vom Beistelltisch und führte ihn zum Mund. Dann zog er seine schweren Stiefel an, streifte seine abgewetzte Weste über und stand aus dem Bett auf. Er war von Kindesbeinen an daran gewöhnt in seiner Kleidung zu schlafen und musste sich nicht umziehen, seine Frau wartete, bis er bereits auf dem Weg hinüber in die Küche war. Dann erst stand sie auf und bekleidete sich.
In der Küche angekommen zog Norath einen Holzeimer unter dem Tisch hervor und machte sich auf, um die Kühe zu melken. Er ging mit schweren Schritten auf die Tür zu, öffnete sie und wäre beinahe auf ein kleines Kind getreten, das auf der Türschwelle lag. Er verengte die Augen zu Schlitzen, sah ungläubig auf das kleine Bündel hinab. Er brauchte eine Weile um sich begreifbar zu machen, was er da sah. Schließlich beugte er sich sanft zu ihm herunter. Er nahm es in den Arm und rief mit trockener Kehle nach seiner Frau.
Mathilde kam herbeigestürzt. Sie schlug die Hände vor den Mund, die Augen ungläubig aufgerissen. Schließlich stieß sie einen hellen Schrei aus.
„Das ist ein Kind! Ein Kind, Norath. Die Götter haben es uns geschenkt!“
Der Bauer sah sich um, das kleine Leben ungeschickt in seinen breiten, schmutzigen Händen haltend. Seiner Frau liefen Tränen über die Wangen, als sie sich hinab beugte und ihm das Kind aus den Händen nahm.
„Sie haben es uns geschenkt, weil sie mich nachts haben weinen hören…“
Norath war froh, dass
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