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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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schwieg mich an, Imelda schwieg die Schwestern an, die Doktoren, ihren Vater und ihre Mutter, die weinte, wenn sie nicht mit Imelda sprach und ihr an die Leitung fasste, die zu ihrem Arm führte, nach der Schwester klingelte, mit den Ärzten redete und mit mir Folgendes: Klartext . Imeldas Arzt las mir die Leviten . Der Klartext von Imeldas Mutter machte Bauchschmerzen, und von den Leviten des Doktors bekam ich Durchfall. Ich steckte KOMA, KLARTEXT und LEVITEN in die Wörterschachtel KRANKHEITEN. Die große Wörterschachtel ENTSCHULDIGUNGEN blieb leer.
    Am andern Tag wurde meine neue Brille fertig, und Imelda durfte aufwachen, die Ärzte hatten es erlaubt. Meine Mutter weinte gemeinsam mit Imeldas Mutter, eine Schwester brachte Kuchen, und zur Feier des Tages erfuhr ich, was Silhouette ist.
    Silhouette : macht Freude und Herzklopfen (Eli).
    Silhouette : das heißt The Silhouettes . Machten gute Musik. Bis vor kurzem (mein Vater).
    Silhouette : etwas, womit die Blondierte kämpft (meine Mutter).
    Und Tat wollte zu dem Thema nichts gesagt haben, er fragte am Telefon nur:
    – Hast du dich bei Imelda entschuldigt?
    Ich schüttelte den Kopf. Er schlürfte Kaffee aus der Untertasse, ich konnte es hören.
    – Du musst das Lexikon der guten Gründe überarbeiten. Sie hätte sterben können.
    Staub juckte auf der Haut, trieb in Wolken durchs Licht. Grau, weißgrau lag er auf der Brille. Wir standen in der Werkstatt. Der neue Stuhl für Tat war fast fertig, mein Vater gab ihm den letzten Schliff. Ich saß in so dichtem Nebel, als hätte ich vergessen, die Brille aufzusetzen, aber egal, wie dick er wurde, die Gedanken blieben rot wie Imeldas Narbe.
    Ihr Haar blieb fort. Es beeilte sich nicht beim Wachsen. Ein Flaum, der trödelte. Niemand konnte das Haar trösten, keiner wusste wie.
    Sie hätte sterben können, hatte auch Madame Jelisaweta gesagt.
    – Wie sieht der Tod aus?
    – Für jeden anders, antwortete mein Vater.
    – Es gibt nicht nur einen?
    – Nein.
    – Du hast einen ganz für dich allein?
    – Gewissermaßen.
    – Zeigst du ihn mir?
    – Das kann ich nicht.
    – Warum nicht?
    – Weil er nicht da ist.
    – Und warum ist er nicht da?
    – Weil ich noch da bin.
    – Und wann kommt er?
    – Das weiß ich nicht.
    – Wie wollt ihr euch denn finden?
    – Ich suche ihn nicht.
    – Warum nicht?
    – Wenn zwei suchen, verpassen sie einander. Ich warte auf ihn.
    – Wie erkennt er dich?
    – Ich erkenne ihn.
    – Wie?
    – Indem er kommt.
    Ich schwieg, putzte die Brille. Mein Vater verschloss den Leimtopf. Auch seine Brille war weiß vor Staub. So ein wichtiger Mensch, der Tod, und mein Vater würde ihn auf der Straße nicht erkennen; nicht wenn er vor ihm stünde, würde er ihn erkennen.
    – Und er kommt bestimmt?
    – Ja.
    – Auch meiner?
    – Ja.
    – Dann warte ich jetzt.
    – Es kann aber dauern, sagte mein Vater.
    – Dann wird mir vielleicht langweilig.
    – Das ist gut möglich.
    Ich legte mich hin, wie ich es im Film gesehen hatte. Immer wenn der Tod zu Besuch gewesen war, lagen die Leute schlafend in ihren Betten, und es war ganz still im Zimmer. Ich stellte mich schlafend. Ich stellte mich so bleich wie die Nachbarin aus dem Erdgeschoss und kreuzte die Arme, eine halbe Stunde lang.
    Mein Vater schlug mit dem Hammer die Stuhlbeine kräftig in den Sitz. Bei diesem Lärm würde der Tod nie kommen.
    – Es ist langweilig. Langweilst du dich nicht beim Warten?
    – Nein.
    – Warum?
    – Ich habe zu tun.
    Er stellte den Stuhl hin, und meine Mutter öffnete die Tür.
    – Was treibt ihr denn?
    – Wir reden übers Leben, sagte er.
    Tat saß auf seinem neuen Stuhl wie ein König, streichelte seine Lehne und erklärte mir, dass nicht alle GRÜNDE und ARGUMENTE ins Lexikon der guten Gründe gehören, auch wenn sie unschlagbar aussehen.
    – Der Cousin der Blondierten hat schöne Hände.
    – Das ist wahr. Und sie können ganz schön anpacken.
    – Er war ein Meisterdieb, der beste in der Stadt, in der er gelebt hat.
    Tat sah mich an.
    – Wer erzählt so etwas?
    – Toni. Er sagt auch, dass er aus dem Ausland zurückkehren musste, weil ihn das Ausland nicht mehr haben wollte wegen seines Erfolgs.
    – Hat er auch gesagt, ob er noch arbeitet?
    – Er hat gesagt, dass er speziell für die Schweiz berufsunfähig geworden ist wegen der vielen Gefahren, die hier lauern. Er sagt, es nimmt ihn sehr mit, nicht mehr arbeiten zu können.
    – Verstehe.
    – Warum nimmt es ihn mit?
    – Es erschöpft, ein Handwerk vergessen zu

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