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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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werden, dass ihn selbst die Ältesten nicht zu fassen kriegten, nicht zu viert konnten sie ihn halten. Lachte man, setzte es was, lachte man nicht, bekam man eine gescheuert, und richtig schlimm wurde es, wenn man den Namen von Onkel Eugen in den Mund nahm. Man brauchte bloß zu sagen, dass Onkel Eugen ihn wohl vergessen hätte, und dazu die Brauen heben. Johann hatte er dafür am Marterpfahl angezündet. Er stand dabei, bis die Gummistiefel anfingen, Blasen zu werfen. Dann erst übergoss er ihn mit Wasser und verbot uns, ihn loszubinden, es schneite unentwegt. Johann dampfte, am Pfahl festgezurrt, eine halbe Stunde lang. Hätte er von Naturkatastrophe keinen Lappen in den Mund gestopft bekommen, hätte man sein Zähneklappern bis zum Waldrand hören können. Keiner band ihn los, das hatten wir versprechen müssen bei unserm Leben, das Naturkatastrophe einen Dreck wert war, wie er uns schwor, wir sollten bloß an Johann denken. Natürlich dachten wir an Johann, wir konnten an nichts anderes mehr denken als an Johann, den ganzen Tag über nicht, beim Abendessen nicht, das unser Lieblingsessen war, Hörnli mit Hackfleisch und Apfelmus. Aber wer wollte schon essen? Naturkatastrophe fraß für zwei, stopfte sich voll, behielt uns im Auge, er machte sich breit am Tisch, damit es nicht auffiel, dass Johann nicht da war. Johanns Teller hatte er auf dem Schoß, und noch vor der Birne, die es zum Nachtisch gab, hielten wir es nicht mehr aus, schlichen wir zu Johann, nahmen ihm den Lappen aus dem Mund und verkrochen uns. Johann schrie den halben Ort zusammen.
    Naturkatastrophe bekam noch eine Chance, er hatte eine Geschichte, wir alle hatten Geschichten, auch ich hatte eine. Keine zu haben galt als eine, als etwas zumindest, das zu denken gab, deswegen war ich hier, und ob mit oder ohne, Naturkatastrophe hatte mindestens Geschichte für zwei, er wog die auf, die keine hatten, gleich mehrere von uns, die Chefin blieb auf ihm sitzen. Martins Aktenberg, sagte sie, will schon keiner mehr besteigen. Außer Helene. Sie gab nicht auf.
    Hatten wir etwas angestellt, schleppte uns Helene immer in die Natur hinter dem Haus. Wir mussten dem Gemüse zuschauen beim Wachsen.
    – Das Gemüse weiß von alleine, was es soll, jede Kartoffel weiß es. Man braucht es ihr nicht einmal zu sagen, sagte sie. Bloß ihr seid zu blöd dazu, blöder als jede Kartoffel. Nehmt euch gefälligst ein Beispiel am Blumenkohl, am Salat und den Tomaten!
    Naturkatastrophe verbrachte ganze Nachmittage damit, am Gemüse klüger zu werden. Aber er nickte ein und verpasste alles, und am Abend kam er ausgeschlafen zurück und zerlegte sein Zimmer, weil er etwas suchte. Helene schüttelte das ganze Jahr über noch den Kopf, wenn einer darauf zu reden kam. Was Naturkatastrophe anging, war sie mit ihrer Weisheit komplett am Ende, obwohl sie Professorin im Großziehen von Gemüse war.
    Mich kriegte Naturkatastrophe eines Tages im Apfelgarten zu fassen. Das heißt, ich erwischte ihn bei etwas, er beugte sich zu mir herunter und legte den Zeigefinger auf den Mund, nachdem er mit einer Hacke zugeschlagen hatte. Und dann war nichts mehr. Helene fand mich. Sie biss sich auf die Lippen, wie sie es tat, wenn der Pfarrer kam und als Erstes den Hund trat. Sie rief den Gärtner. Der Gärtner rief die Chefin, die Chefin den Doktor. Er sah sich die Wunde an, wollte wissen, wie ich heiße, wie die Chefin hieß. Erst wollte es mir nicht einfallen, und er murmelte, dass Naturkatastrophe auf dem besten Weg sei, Karriere zu machen.
    Sie schüttelten die Köpfe.
    – Dabei hat er alles, was es braucht.
    Naturkatastrophe hatte alles, um gut wegzugehen. Er hatte Augen, von denen später Frauen träumen würden, da waren sich die Chefin und die dicke Helene einig. Er hatte ein tadelloses Gebiss, mit dem er Nüsse knackte, eine Zahnlücke, die ausnahmslos alle süß fanden. Und er hatte Locken. Helene nannte seine Haare eine Lockenpracht, sogar der Gärtner musste ihr da beipflichten. Außer dem einen Mal war er nie krank gewesen, er sah immer frisch aus. Ob er im Garten hatte helfen müssen, in der Werkstatt oder ob er sich geprügelt hatte, seine Hände bekam er immer sauber.
    Die Chefin nahm sich potentielle Kundschaft genau unter die Lupe, was ihre finanziellen Möglichkeiten betraf und ihren Ruf.
    Sie machte Hausbesuche bei der Kundschaft und welche bei den Nachbarn der Kundschaft, sie erkundigte sich bei der Polizei, ob die Kundschaft etwas auf dem Kerbholz hatte, und wenn nicht, lud sie

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