Monica Cantieni
Blondierten und hielt meinen ersten Aufsatz in der Hand. Sie hatte dick Paste im Haar, nahm mir den Aufsatz aus den Händen, drehte ihn zu einer Rolle und erschlug damit eine Fliege.
– Mistviecher! Brauchst du Zucker?
– Nein. Wo ist Werner Fernfahrer?
– In Saudi-Arabien. Warum?
– Wann kommt er zurück?
– In einer Woche, wenn alles gut geht.
– Dann ist es zu spät.
– Wofür denn?
– Fürs Meer.
– Fürs Meer?
– Kennen Sie das Meer?
– Allerdings. Ich will damit nichts zu tun haben. Es macht mir Angst. War schon immer so. Außerdem, sagte sie, es macht das Haar kaputt. Salz und Sonne: reines Gift!
Sie deutete auf ihren Kopf.
– Zeit, dass ich es rauswasche.
– Kann ich ihn wiederhaben?
– Was?
– Den Aufsatz.
Ich steckte ihn wieder in die Jackentasche. Madame Jelisaweta war meine letzte Hoffnung, was das Meer anging.
Ihr Salon war nicht sonderlich groß. An dem Tag, als Imelda den Hut geschenkt bekommen hatte, war er beinahe aus allen Nähten geplatzt. Es war nicht wirklich ein offizieller Frisiersalon, und gehören tat er Madame Jelisaweta schon gar nicht, sondern unserem Vermieter, für den sie so viele, schön klingende Schimpfwörter hatte, dass Eli sie ab und an bat, ein wenig für ihn zu fluchen, wenn ihm wieder etwas die Sprache verschlagen hatte, das er Schweizer Bürokratie nannte. Madame Jelisaweta hatte auch nicht immer geöffnet, weil der Frisiersalon allein Madame Jelisaweta nicht über Wasser halten konnte und sie mal hier und mal da noch Hand anlegen musste; aber ich hatte Glück.
An den Wänden hingen Bilder: jugoslawische Stadt am Meer, jugoslawischer Wasserfall im Wald, jugoslawische Flusslandschaft im internationalen Sonnenuntergang, jugoslawische weltberühmte Schlucht und jugoslawischer Schlagerstar oder sinkender Stern am jugoslawischen Schlagerhimmel mit Gitarre; je nachdem, wer hinsah. Die Bilder rollten sich an den Ecken ein, das Klima in Madame Jelisawetas Haarsalon machte ihnen zu schaffen.
Sie war dabei, Fläschchen aufzufüllen, und ich durfte Haare zu einem Haufen kehren. Madame Jelisaweta nahm es sehr genau damit, sie wollte sehen, was sie den ganzen Tag über getan hatte. Nachdem sie alle Haarlackdosen zurechtgerückt hatte und die Kämme und Bürsten sauber geschrubbt im Waschbecken lagen, setzte sie Kaffee auf.
– Was hast du ausgefressen?
– Nichts.
Madame Jelisaweta kniff die Augen zusammen. Eine Zigarette im Mundwinkel, öffnete sie ein Glas Oliven. Sie schob sich immer welche in die Backentasche, für etwas Würze im Gespräch.
– Und was ist das da?
Mein Aufsatz musste aus der Tasche gefallen sein, sie hob ihn auf.
– Ein Aufsatz.
– Und damit kommst du zu mir? Was steht denn drin?
– Nichts Besonderes.
– Zeig her.
Sie las, pfiff durch die Zähne, schnalzte mit der Zunge, las weiter, spuckte einen Olivenkern in die Hand. Ihre Katze strich ihr um die Beine.
– Ich muss einen neuen schreiben.
– Und es wundert dich?
Nicht einmal Madame Jelisaweta hatte Verständnis für den Aufsatz über meine Eltern, obschon sie einiges gewohnt war: Flüche in mindestens fünf Sprachen, alle Kopfformen, alle Haarfarben, die Umstellung auf eine neue Zigarettensorte, eine versprengte Familie, astronomische Telefonrechnungen und das Wirtschaftswunder, das mehr Arbeit machte, als sie es sich je hatte träumen lassen.
– Kennst du das Meer?
– Ja.
– Kannst du mir das Meer erzählen?
Sie zündete sich eine zweite Zigarette an und legte sie in den Aschenbecher.
– Welches denn? Es gibt verschiedene. Schon in Jugoslawien. Schon vor unserer Haustür gibt’s das. Mit Sonne oder ohne, mit Wind oder ohne, bei Sturm, auf dem Schiff, im Wasser oder wenn man taucht.
Ihre Zigarette brannte im Aschenbecher herunter, während sie von Gras unter Wasser erzählte, von Igeln, die Milch nicht mögen, und von Sternen am Meeresboden, die ihr Bruder an Land brachte, wo sie sofort alle Farbe verloren. An freien Tagen springt er von den Klippen, und sie braten Fisch am Strand, der ganz aus Felsen ist, brütend heißer Stein, auf dem Salz glitzert, und in der Nacht darauf ein Sturm, ein Seegang mit Wellen so groß wie Häuser, die eine Wiese wegwaschen, einfach so, samt einem Traktor, einem Hund und einer Ziege. Beinahe hätten sie auch ihren Bruder mitgerissen, der mit Onkel Jernej hinausgefahren war. Gerade noch rechtzeitig war er mit dem kaputten Schiff hereingekommen, ohne zu wissen, was unten und oben war. Es hat an Bord Fische geregnet sagte
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