Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
Vom Netzwerk:
bestellt hatten, die mich in Kommission genommen hatte und die zusehen musste, dass wir rechtzeitig unter die Leute kamen. Meine Mutter hatte mich angenommen, weil ich eine einmalige Gelegenheit gewesen war, und Imelda hatte gesagt, dass ihre Mutter sagte, dass ich als Tochter immer eine halbe Portion bleiben würde. Es ist wie ein Preisschild auf einem Teller, versprach Imelda mir, ganz schwer abzukriegen, und später würde immer etwas dran kleben bleiben.
    – Sie haben dich ausgesucht. Dich.
    Ich schwieg.
    – Was?
    – Ich bin nicht das große Los.
    – Sagt wer?
    – Alle.
    Toni legte den Kopf schief.
    – Und was bist du sonst noch? Ein Augenstern vielleicht? Genau, ein Augenstern.
    – Ein Brauner Zwerg.
    Er nahm mich in die Arme und versuchte, mich zu trösten. Offensichtlich hatte Toni vom Himmel keinen Schimmer oder Braune Zwerge hießen in Italien völlig anders.
    – Du wirst schon noch wachsen.
    Die Knöpfe auf seinem Hemd verschwammen, die Nase lief, ich machte sein Hemd nass. Wir blieben sitzen, ich weiß nicht, wie lange. Er gab mir sein Taschentuch, nur Tat hatte auch so große.
    – Und setz die Brille auf.
    – Spielen wir Verstecken?
    – Nein, das geht nicht.
    – Weshalb nicht?
    Es war doch wie immer, ich war wie immer, ich war noch nicht einmal viel größer, alles war wie immer, alles wie früher, wie vor den Ferien. Toni roch nach Zitrone, das Zimmer nach kleinem Kaffee, das Sofa pikste, die Wasserleitungen rauschten, der Teppich fluste, die Uhr tickte, der Fernseher unter uns dröhnte, und seine rosafarbene Zeitung lag auf dem Tisch. Sogar meiner Mutter ging es auf die Nerven, sich immer draußen herumtreiben zu müssen, seinen Schnupfen ertragen zu müssen, das Schniefen und Niesen, die rote Nase, mit der er auch an Sonntagen etwas weniger aussah wie ein Filmstar. Sie fand es idiotisch. Er stand auf und drehte das Radio an.
    – Du wartest hier. Rühr dich nicht vom Fleck. Ich gehe Kuchen holen, aber dann musst du gehen. Versprochen?
    Ich nickte. Schon im Flur, kam er noch einmal herein und rief:
    – Schokoladenkuchen ? – Und du rührst dich nicht vom Fleck, ja?
    Ohne die Antwort abzuwarten, knallte er die Tür zu.
    In Tonis Schlafzimmer war es dunkel. Ich zog die Vorhänge auf. Früher hatten wir Verstecken gespielt bis unters Bett. Er wollte es nicht mehr, weigerte sich, sagte, ich sei zu groß dafür geworden. Seit seinen Ferien in Italien war ich für das meiste schon zu groß und für vieles noch zu klein. Ich durfte nicht mehr seine Sachen anziehen, in seinen Schuhen durch die Wohnung rennen, in seinen Hemden durch die Zimmer flattern und Vogel spielen, die Ledermappe seines toten Onkels mit Papier und ausgelesenen rosa Zeitungen vollstopfen, Listen schreiben, ihn mit dem Maßband ausmessen, nämlich Amt spielen und Vormund; ja, Ruth und Walter spielen war seit seinen Ferien kindisch, auf seinem Bett zu hopsen verboten, Kissenschlachten machten die Bettwäsche kaputt, obwohl er früher gelacht hatte, wenn ein Kissen platzte, obwohl wir sogar zu dritt auf seinem Bett gehopst waren, bis die Latten heraussprangen. Er hatte sie einige Male wieder einsetzen müssen und hatte geflucht dabei, eine halbe Wörterschachtel voll Italienisch war dabei herausgekommen, und nicht die kleinste.
    Das Bett, der Wecker, der Stuhl mit drei Beinen. Das vierte lag daneben. Wie vor seinen Ferien. Unter dem Bett die Kartons voller Fotos und Blumen aus Plastik in einer Tüte. Die Zeitschriften, der eingerollte Teppich, sogar der Fußball lag noch da. Die Luft war ihm ausgegangen. Außerdem: Unter sein Bett passte ich noch immer, ich würde es ihm vorführen müssen.
    Die alte Kiste, der Teppich mit den bleichen Farben, die Kommode, an der eine Schublade zerkratzt war. In einer Schublade eine alte Uhr und Bücher, Kleider in einer andern. Sie rochen gut. Nach Zitrone. Wie alles nach Zitronen roch, sogar die Bilder mit Heiligen. Daneben lagen in einer Schachtel Schrauben, ein Hammer, Kugelschreiber. Noch mehr Kleider. Auch welche in meiner Größe. Er schien sie aus den Ferien mitgebracht zu haben wie den neuen großen Schrank. Ich öffnete ihn. Im Schrank saß ein Mädchen.
    Ich schloss ihn wieder und nahm die Brille ab. Man kann seinen Augen nicht trauen, wenn sie verglast sind. Dann öffnete ich den Schrank noch einmal.
    Das Mädchen war immer noch da. Ich fasste sie an.
    Sie quietschte.
    Ich roch an ihr. Tatsächlich, sie roch.
    Gut.
    Nach Rosinen.
    Ich setzte die Brille wieder auf.
    – Was machst du

Weitere Kostenlose Bücher