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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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Mili.
    Ich schob Löwenzahn durch den Maschendraht, Karottenschalen und die Salatreste, die meine Mutter mir mitgegeben hatte.
    – Mili mag Popcorn und die Farbe Grün. Ihr Haar findet sie langweilig. Sie sagt, dass ist normal in dem Italien, aus dem sie kommt, sie hätte lieber blondes. Ihrer Meinung nach ist meins noch viel langweiliger, noch dunkler als ihres, ihre halbe Verwandtschaft hat solche Haare. Außerdem, die Schweiz ist schuld, dass sie im Schrank sitzen muss, sagt sie, sagt Toni; auch, dass die von der Ausländerpolizei totale Sesselfurzer sind und ewig nicht vorwärts machen. Sie sagt, dass die Köpfe haben wie Eisschränke. Das Leben ihrer Großmutter hat nicht die Engelsgeduld aufbringen können, die ein Ausländerpolizeisesselfurzer brauchte, und es hat sie aufgegeben, die Großmutter ist gestorben, und deshalb konnte sie nicht mehr in Italien bleiben, und Toni kann nicht zurück nach Italien, weil es jetzt grad so gut läuft bei ihm mit den Plastikförmchen und dann noch in der Verzinkerei. Er kann endlich wieder an einen Olivenwald in Italien denken . – Sesselfurzer ist ihr Lieblingswort und Grün ihre Lieblingsfarbe, ihre absolute Lieblingsfarbe.
    Ich schrieb Sesselfurzer mit Kreide auf die Steinplatten.
    – Wir müssen geheim bleiben, sie sagt, sie darf es nicht verderben, sie sagt, Toni sagt, dass der Olivenwald jetzt an ihr hängt und dass er alles tut, um ihr den Schrank so schön wie möglich zu machen.
    – Machst du mal vorwärts da draußen? Es fängt gleich an zu regnen. Ausmisten, hab ich gesagt. Der Stall muss glänzen.
    Vom Fenster aus, das meine Mutter grade putzte, hatte sie mich genau im Auge. Ich beugte mich zu Schneewittchen herab und verdrehte die Augen.
    – Ruth und Walter kommen.
    Sesselfurzer wischte ich vorsichtshalber von den Steinplatten.
    Ein Desaster : das war der Besuch von Ruth und Walter gewesen, ein einziges Desaster . Ein Desaster war etwas, für das es keine Worte gibt. Danach wollte meine Mutter nur noch unter die Leute, und zwar unter solche, die noch bei Verstand waren.
    Unter dem Baum mit der schönsten Aussicht packte sie schäumend vor Wut ihre Butterbrote aus und riss sich die Plastikkapuze vom Kopf. Es nieselte.
    – Was glauben die eigentlich, wer sie sind?
    Ohne ein Wort zu sagen, aß sie ein ganzes Brot auf, sie schien mich vergessen zu haben.
    Ruth und Walter hatten es mit ihr verdorben. Weshalb, wusste ich nicht. Das war nichts für Kinderohren, und sie richtete heute ein Begräbnis aus, das auch nichts für Kinderohren war, nämlich das von Ruth und Walter. Es würde weder ergreifend noch schön werden, versprach sie dem Friedhof, der sich auf etwas gefasst machen konnte, wenn die beiden zur Hölle fahren würden.
    Eigentlich wollte so eine Beerdigung kein Mensch sehen. Vor allem nicht bei diesem Wetter. Es goss in Strömen. Die wenigen Autos, die angefahren kamen, blieben irgendwo vor dem Friedhofstor stecken und versanken im Schlamm. Die Trauergemeinde, ein paar Nasen vom Amt, watete durch Pfützen und Bäche, der Pfarrer lag im Bett und schickte eine Vertretung, die nicht ortskundig war und sich so verspätete, dass die Särge im stehenden Wasser der Gräber anfingen zu schaukeln und Walter schon gefährlich Schlagseite bekam. Eli und der Friedhofsgärtner hatten sich entschlossen, die Gräber zuzuschaufeln, so schnell es eben ging. Die Blasmusik fiel wegen des Regens bis auf zwei Trompeten sowieso aus, und als die Vertretung des Pfarrers mit nassen Schuhen und aufgeweichten Notizen endlich ankam, klopfte Eli grade die Hügel glatt und musste sich die Frage gefallen lassen, wer von beiden nun in welchem Grab lag.
    – Und wie Eli so ist: Um solche Dinge kümmert er sich nicht. Den Rest erledigt der Regen. Sogar die Holzkreuze wäscht er weg. Werden Tage später aus den Büschen beim Fluss gezogen. Kann sich keiner vorstellen, so einen Regen. Die frischen Gräber leer gefegt, der Rechen beim Wehr gesprenkelt mit schwimmenden Blumen und Kränzen vom Amt. Und auf dem Friedhof keine Spur von den beiden, nichts. Als wären sie nur ein böser Traum gewesen. Nach nur einer Woche. Die Zeit heilt alle Wunden.
    – Papperlapapp!
    Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Tat hatte so viele zu beklagen, dass ihm am Sonntag die Luft bei der Aufzählung ausging, er sich hinlegen musste, einen Hustenanfall und schlechte Laune bekam.
    – Wer behauptet so einen Unsinn? Meine Schwiegertochter? Und dass Tote weggeworfen werden nach fünfundzwanzig Jahren, ist das auch

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