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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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dadrin?
    Sie gab keine Antwort. Saß bloß da auf einer Häkeldecke und glotzte mich schweigend an.
    – Spielst du Verstecken? Toni ist weg. Du kannst rauskommen.
    Sie sagte auch noch immer nichts, als ich die Schranktüren weit öffnete. Die Innenseiten waren mit Fotos beklebt. Ich setzte mich vor ihr auf den Boden und zeigte auf das größte.
    – Und wer ist das?
    Ich musste zweimal nachfragen.
    – Sag schon. Wer ist das?
    – Meine Mutter.
    – Wer?
    Sie redete so leise wie die Blondierte, wenn sie in ihrem Briefkasten nach Post wühlte.
    – Meine Mutter.
    – Auch künstlich?
    – Was heißt künstlich?
    Ich konnte kaum verstehen, was sie sagte. Sie guckte auf den Boden, als ob sie dort Wörter suchen würde.
    – Bringt dir jemand Wörter mit?
    – Was?
    – Du kannst sicher welche brauchen. Warst du teuer?
    – Kinder kosten nichts.
    – Hast du eine Ahnung! Wo ist deine Mutter?
    – Im Himmel.
    Himmel: Sie dehnte das Wort. Dieses und jedes andere dehnte sie am falschen Ende, sie zog daran, irgendwo schienen sie festzuhängen und schnurrten plötzlich zusammen, und den Rest verschluckte sie einfach. Außerdem hatte sie eine breite Zahnlücke. Ich hätte auch eine haben wollen. Naturkatastrophe hatte durch seine fast drei Meter weit spucken können.
    – Bist du aus dem Ausland?
    Sie schüttelte heftig den Kopf.
    – Und von wo kommst du dann?
    – Von zu Hause.
    Sie war nicht groß und käsebleich. Viel Haar, langes; Locken, wie meine Mutter sie gern für mich gehabt hätte, Augen wie meine schönste Murmel.
    – Kannst du hierbleiben?
    – Weiß nicht.
    – Es ist doch überall dasselbe. Kommst du nie raus?
    – Am Abend. Und sonst manchmal, wenn mich mein Vater rausholt.
    – Und wer ist dein Vater?
    – Toni natürlich.
    – Dann bist du doch aus dem Ausland. Dann bist du auch eine Überfremdung. Wie Eli.
    – Was ist eine Überfremdung?
    – Etwas, von dem sie nicht wissen, wohin damit.
    Sie starrte auf ihre nackten Füße. Ihre Zehen wühlten in der Häkeldecke. Langsam zog sie die Türen zu, sie bat mich zu gehen, nichts zu sagen, niemandem, nie.
    Ich blieb eine Weile vor dem Schrank stehen.
    – Ich bringe dir Wörter mit. Du brauchst Wörter.
    Ich legte mein Ohr an die Schranktür.
    – Jeder braucht Wörter.
    Nichts rührte sich.
    – Brauchst du Sonne? Ich kann dir eine mitbringen.
    Es blieb still. Auch als ich die Vorhänge zuzog, rührte sich nichts. Ich rückte alles an seinen Platz. Ich machte es, wie wenn ich das Schlafzimmer meiner Mutter nach versteckten Süßigkeiten durchsucht hatte.
    Schneewittchen war verschwiegen wie ein Grab. So verschwiegen, dass es sogar Elis Post auffraß, damit sie keiner finden konnte. Elis Kumpel packten sie seither in eine Brotdose, und Schneewittchen setzte sich drauf, genoss die bessere Aussicht.
    Löwenzahn und Salat, Salat und Löwenzahn: Damit konnte man Schneewittchen begeistern, es fraß so schnell wie der elektrische Gemüseschredder bei Dejan und Mirela in der Restaurantküche.
    Mit ihm konnte man vernünftig reden, Schneewittchen verstand, rupfte den Löwenzahn durch den Maschendraht, und ich konnte alles loswerden: dass mir die Überfremdung allmählich zum Hals heraushing. Dass ich sie nicht mehr sehen konnte. Dass es das noch nicht mal bei der Chefin gegeben hatte, dass immer ein Bett frei gewesen war für Notfälle, sogar für Notfälle wie Naturkatastrophe war immer ein Bett frei gewesen. Ich erklärte Schneewittchen, dass die Chefin bloß zusehen musste, dass wir rechtzeitig unter die Leute kamen und nicht im Heim verschimmelten, dass die Quote stimmte und wir, wenn möglich, weggehen sollten wie warme Semmeln, je früher desto besser. Dass bekannt war, dass sie aus der Gemüsebranche zu uns gekommen war und ihr von damals die Vorliebe für frische Auslagen geblieben war, sie deswegen Sauberkeitsfanatikerin war, Ingenieurin für Bügelfalten, Sandmannentfernungsfachfrau, eidgenössisch diplomierte Fingernagelprüferin, Ohrenbeschauerin und Sockeninspektorin und dass man sie mit nichts mehr provozieren konnte als mit Pfirsich- oder Grasflecken auf frischen Sachen. Nicht einmal Naturkatastrophe hätte gewagt, sich absichtlich auf einen Pfirsich zu setzen oder auf der Wiese herumzurutschen. Frisch mussten wir sein. Frisch wie Salat. Oder Löwenzahn.
    So gesehen war Eli nicht mehr einfach unter die Leute zu kriegen. Frisch war er ja nun wirklich nicht mehr, und die weißen Monde, die er von Farbe und Gips unter den Nägeln hatte, die hätten die

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