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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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ihren Kaffee schlürfte, die rosa Kirsche von jedem Törtchen lutschte und in der Tasse löffelweise Sahne zergehen ließ, bevor sie mit dem letzten Schluck die Tasse ordentlich ausschwenkte, grüßte und ging, meine Mutter bemerkte es nicht einmal. Ich sammelte die Zettel ein und sah zu, dass ich ihr nicht in die Quere kam dabei. Meine Mutter war zu allem fähig. Sie konnte Wörter einfach in den Müll werfen, von wo ich sie wieder rausfischen musste.
    – Wo findest du sie alle?, hatte Eli gefragt.
    – Tat hebt sie mir auf, mein Vater schießt sie beim Autofahren mit links, meine Mutter lebt sowieso im Überfluss, sagt mein Vater, und dann ist da noch die Schule.
    Eli bewunderte meine Eltern. Ihm fehlten viele Wörter, sogar in Spanisch. Er hatte zum Suchen einfach keine Zeit. Jedes Haus, das er anfing, musste bald fertig werden.
    Meine Mutter sperrte viele Wörter weg. Sie hatte mir auch nur eine einzige Wörterschachtel geschenkt; gleich nachdem Ruth und Walter das erste Mal bei uns gewesen waren und wir auf dem Sofa lagen und sie beschlossen hatte, die beiden zu ihrer Beerdigung bestimmt nie einzuladen. Sie hatte gar nicht mehr aufgehört zu schreiben und vorzulesen. Die Wörter hatten eine bestimmte Ordnung, eine andere durften sie nicht haben. Ich konnte sie mir nicht merken, sie sagten mir nichts.
    – Bau Eselsbrücken.
    Meine Mutter schwor auf Eselsbrücken. Ihre hielten immer. Auf meine hätte ich keinen Fuß gesetzt.
    – Dabei, sagte sie, ist es ganz einfach: Ich bin deine Mutte r – das heißt, wenn alles gut geht. Ich habe eine Schwester, die wird deine Tante Joujou, deren zwei Söhne werden deine Cousins.
    – Ich mag sie nicht.
    – Das ist egal.
    – Ist es nicht.
    – Jetzt schon. Tat wird dein Großvater sein, seine drei Schwestern und vier Brüder deine Großonkel und Großtanten.
    – Die kenne ich doch gar nicht alle.
    – Das ist vollkommen egal! Hör mir lieber zu. Tat hat Eltern, das werden deine Urgroßeltern sein, deren Brüder deine Urgroßonkel und Urgroßtanten, sie sind schon alle tot, die Urgroßeltern sowieso. Deren Kinder sind die Cousinen ersten Grades von Tats Onkel, der ein Großonkel von dir sein wird, und dessen einer Sohn ist unser Cousin ersten Grades. Heißt: er war es, er kam bei einem Autounfall ums Leben. Und dessen Kinder wiederum werden deine Cousins zweiten Grades, während die Urenkel vom Bruder von Tats Vater deine Cousins dritten Grades werden.
    – Kenne ich die?
    – Nein. Und dann hast du Geschwister.
    – Hab ich nicht.
    – Nehmen wir mal an, du hast einen Bruder.
    – Wie sieht er aus?
    – Woher soll ich das wissen?
    – Hab ich doch einen?
    – Nicht dass ich wüsste.
    – Oder eine Schwester?
    – Davon stand nichts in den Akten.
    – Habt ihr genau nachgesehen?
    – Nehmen wir einfach an, du hast einen Bruder, dann kann ich es dir erklären.
    – Wozu brauche ich das alles?
    – Das alles? Das ist Familie .

Das hier war …
    D AS HIER WAR EIN Notfall, wie abgebrannte Olivenbäume, der Walensee bei Föhnsturm, Ruth und Walter in Aufruhr oder das Himmelelend meiner Mutter, das so plötzlich zuschlagen konnte wie der Winter bei Tat in den Bergen; die Sorte Notfall, dass ich drauf und dran war, die Feuerwehr anzurufen. Ich wollte es aber erst bei Toni versuchen. Ich musste fünfmal klingeln, bis er öffnete. Er trat von einem Bein aufs andere und schnäuzte sich. Seine Nase war ganz rot.
    – Sie rinnt. Seit Wochen. Wird einfach nicht besser.
    – Kann ich reinkommen?
    – Geht nicht.
    – Wieso nicht? Es ist dringend.
    – Gehen wir spazieren.
    – Ich will nicht spazieren gehen. Ich will nicht auch Schnupfen kriegen. Es ist wirklich dringend. Sonst muss ich die Feuerwehr rufen.
    Ich hielt ihm das Heft hin. Er schnäuzte sich noch einmal und seufzte.
    – Meinetwegen. Aber lange kannst du nicht bleiben.
    In der Küche goss er mir ein Glas Milch ein. Ich schob es weg.
    – Du musst es lesen.
    Er schlug das Heft auf, blätterte es von vorn bis hinten durch. Auf acht Seiten hatten sie den Satz verteilt, auf jeder Seite ein Wort: DEIN VAHTER WAR EIN NIEMAND, DEINE MUTER PAPIER.
    – Wer hat das geschrieben?
    Ich zuckte die Schultern, und Toni trank das Glas Milch aus.
    – Aber was soll ich damit?
    – Was soll ich machen?
    – Reiß die Seiten heraus.
    – Dann fehlen sie.
    – Na und?
    Er hob mein Kinn an und schaute mich an.
    – Du hast doch Eltern.
    – Schon.
    – Aber ? – Setz dich.
    Ich hatte Imelda erzählt, dass meine Eltern mich bei einer Firma

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