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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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Chefin zur Weißglut getrieben.
    Ich machte eine Pause. Schneewittchen kaute und mahlte, ich hatte seine ganze Aufmerksamkeit und sagte:
    – Trotzdem: Eine Überfremdung wäre bei der Chefin einfach nicht in Frage gekommen, von Amts wegen schon nicht, es gibt keine Geheimfächer für Menschen, in einen Kleiderschrank gehören Kleider, sonst nichts.
    Ich trat gegen den Eimer mit Elis Maurerkellen. Schneewittchen hörte auf zu fressen.
    – Du hast richtig gehört: Im Schrank, flüsterte ich, sie wohnt tatsächlich im Schrank. Sie muss ein Geheimnis bleiben. Toni versteckt sie da. Meistens, sagt sie. Er versteckt sie vor uns. In so einem Schrank ist weniger Platz als in deinem Stall. Vergleichsweise.
    Ich schwor Schneewittchen beim Löwenzahn aller Wiesen, in jedem Schrank nachzusehen, ob noch mehr Überfremdung dort festsaß, vielleicht sogar Eli. Man konnte nie wissen. Ich öffnete die Brotdose. Sie war leer, keine Post für Eli, nichts, und mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, das Mädchen nach seinem Namen zu fragen.
    – Ich weiß nicht mal, wie sie heißt.
    Schneewittchen blinzelte, ich vergrub den Kopf in seinem Fell, fragte den Hasenbauch:
    – Was machen wir jetzt ? – Wo steckt Eli bloß, und wo ist Vogel?
    Vogel, sagt Toni, flog mit Sicherheit in den Himmel. So eine weite Reise, sagt er, aber keine Angst: den Süden wird er schon finden.
    Der Lehrer sagt, er ist Atheist . Er glaubt nicht an den Himmel als Wohnort. Meine Mutter ist auch Atheist , sagt sie. Sie ist erleichtert, dass es einen Namen gibt für das, was sie hat. Der Himmel ist ihr nicht möglich. Sie kriegt ihn einfach nicht zu fassen.
    – Aber eins ist sicher, sagt der Lehrer: Es gibt keinen Süden im Himmel.

Wie besucht man …
    W IE BESUCHT MAN JEMANDEN, den es nicht gibt, fragte ich Tat am nächsten Sonntag.
    – Mit dem Kopf, sagte er.
    Er bat mich, das Bild der Tatta vom Sims zu holen, und wischte es mit dem Ärmel der Wolljacke sauber. Ich kannte sie nur aus Erzählungen. Ganz Graubünden erinnerte sich gern an die Tatta und spuckte auf die Seelenärzte, die sie unter die Erde gebracht hatten. Sie sagten, dass Seelenärzte Reicheleutekram sind, dass reiche Leute eine Klasse ist, eine andere Klasse, die fast ausschließlich im Unterland lebt und sich nur auf Kur in die Berge verirrt und dann glasige Augen kriegt von deren Schönheit, einen roten Kopf und verblasene Ideen darin von der frischen Luft und der Sonne, die sie unterschätzen, genauso wie jeden Sturm und den Schnee, der nur auf Postkarten die schönen Schuhe nicht aufweicht.
    – Parterreschweizer!
    – Was weiß so einer von unsereiner?
    – Nichts.
    – Und was hat der Seelenarzt der Tatta gebracht? Tot ist sie trotzdem.
    – Arme Seele.
    – Gott hab sie selig.
    – Keine konnte mit Kartoffeln so umgehen. Erinnerst du dich an ihr Maluns?
    – Sagenhaft.
    – Und ihre Polenta?
    – Unvergesslich.
    – Und erst das Gämspfeffer.
    Ganz Graubünden erinnerte sich an ihr Essen, es war dort weltberühmt.
    Alles, was Tat in seinen Händen hielt, zitterte. Tassen, Teller, Gabeln, die Uhren, die er aufzog, Früchte, die er reichte, die Tatta auf dem Bild. Sie zitterte besonders. Tat konnte sie kaum halten: kleine Tatta, breite. Mit schiefen Schuhen und einem Blumenstrauß in den Händen stand sie vor einem Brunnen.
    – Aber sie ist doch tot.
    – Na und? Sie besucht mich oft und ich sie.
    – Wo?
    – Hier. Und dort, wo ich mit ihr war. Es ist ganz leicht. Du kannst es auch.
    – Kann ich nicht.
    Er wollte wissen, weshalb ich das Lexikon der guten Gründe vernachlässigte.
    – Darum.
    – Da! Schon wieder. Du musst bessere Gründe finden. Argumente eben. Habe ich dir das nicht schon erklärt? Und, sie zu besuchen ist wirklich ganz leicht. Und es funktioniert immer. Ruf mich gefälligst an, wenn du bei ihr warst.
    Das Ohr fest aufs Kissen gedrückt, liege ich im Bett. Mein Vater schnarcht, meine Mutter schnarcht, der Nachbar flucht, die Tür in den Garten geht, Oskar furzt; sie haben ihm wieder die Knoblauchwurstzipfel aus Dejans Restaurant gegeben, jetzt muss er draußen schlafen. Er dreht und dreht sich um die eigene Achse auf dem Stück Pappe unter dem Vordach, ich dreh und dreh mich; er winselt schon im Schlaf; ich dreh mich, und er rennt im Traum, ich kann das Scharren seiner Füße hören, alle kann ich schlafen hören.
    Er kommt bestimmt, mein Schlaf, mi sueño. Ich warte. Wenn ich warte, geschieht nichts.
    – SIE HEISST MILENA, SAGTE ich zu Schneewittchen. Toni nennt sie

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