Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
auch, aber anders.
Die Augen am Türspalt, sah ich gebannt zu. Irgendwie spürte ich Genugtuung. Es geschah meiner Mutter recht, dass sie Schläge bekam! Sie hatte sie verdient. Warum war sie auch immer so gemein zu mir und hatte mich nicht mehr lieb! Mein Vater hatte ganz Recht, sie zu verhauen. Bestimmt wollte er, dass sie nicht mehr so böse zu mir war.
Erst als meine Füße vor Kälte schmerzten, kam ich zu mir. Plötzlich wusste ich wieder, was passieren würde, wenn meine Eltern mich entdeckten. So schnell ich auf meinen eisigen Füßen konnte, flitzte ich ins Kinderzimmer zurück und ins Bett.
X
Kinder brauchen Kinder, um glücklich zu sein. Meine Eltern waren der Meinung, wir vier Geschwister seien Kinder genug und brauchten keine weiteren Spielgefährten. Auch nachdem mein Bruder Stefan eingeschult worden war, brachte er nie jemanden mit.
Wir wunderten uns nicht im Geringsten darüber. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Trotzdem standen wir Kleinen oft auf dem Balkon und starrten anderen Kindern nach, die draußen lautstark herumtollten. Manchmal winkte eines zu uns hoch und schrie: »Kommt doch runter!«
Doch als wir einmal um Erlaubnis baten, ließ meine Mutter nicht mit sich reden. »Ihr habt es nicht nötig, euch mit jedem hergelaufenen Balg herumzusuhlen«, schimpfte sie. »Die sind doof und dreckig und verdreschen euch sowieso bloß.«
»Dann dresch ich aber zurück!«, prahlte ich und fing gleich mit Boris zu üben an.
»Klar!«, sagte meine Mutter und stieß mich mit dem Fuß von Boris weg. »Wer nichts im Hirn hat, hat’s in den Armen.«
Ich begriff wohl nicht ganz, was ihre Worte bedeuteten. Aber der Ton ihrer Stimme war schmerzhaft genug. Boris bekam meine Rache zu spüren – und ich die »Sonderzulagen« von meiner Mutter.
Von nun an beobachteten wir fremde Kinder lieber heimlich. Wir pirschten uns geduckt hinter die Balkonbrüstung und lugten zwischen den Ritzen hindurch oder blieben verborgen hinter einer Gardine.
Natürlich entdeckten die Kinder draußen uns doch. Zuerst hielten sie es wohl für ein Spiel, später tippten sie sich nur noch an die Stirn oder brüllten Spottnamen zu uns hinauf.
So kam es, dass Boris bereits bekannt war wie ein bunter Hund, als er in den Kindergarten kam. »Da kommt der Dödel vom Balkon!«, schrien die älteren Kinder zur Begrüßung.
Trotzdem fand Boris es toll im Kindergarten. Er erzählte nicht viel, aber jeder merkte, wie gern er jeden Morgen loszog.
Eines Tages nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte: »Mama, wann darf ich denn endlich in den Kindergarten?«
»Du?« Meine Mutter sah mich mit diesem abweisenden Blick an, den sie immer bekam, wenn sie sich mit mir beschäftigen musste. »Solche wie dich können sie da nicht brauchen.«
Solche wie mich? »Warum?«, fragte ich. »Weil ich ein Mädchen bin?«
»Mädchen müssen ihren Mamas helfen«, sagte meine Mutter. »Wenn du groß bist und selbst schon eine Mama, verstehst du das besser.«
»Ich will aber nie eine Mama werden!«, antwortete ich.
»So?« Meine Mutter lachte auf. »Du glaubst doch wohl nicht, da wirst du erst nach deinem Willen gefragt? Du wirst schon sehen. Und jetzt mach; euer Zimmer sieht wieder aus wie nach einem Bombenangriff!«
Vom Aufräumen hielt meine Mutter sehr viel – aber nur solange andere es ihr abnahmen. Mit der ewigen Ausrede, völlig kaputt und am Ende zu sein oder wahnsinnige Kreuzschmerzen zu haben, ging sie kurz nach dem Aufstehen wieder zu Bett. Tante Inge hatte mir Staubwischen und Staubsaugen beigebracht. Von Oma Berta aus Essen wusste ich, wie man einen Putzlappen auswringt. Da ein normaler Eimer voll Wasser für mich zu schwer war, hatte ich einen Spielzeugeimer bekommen, um meinen Hausarbeitspflichten genügen zu können. Während meine Mutter von der schweren Verantwortung in ihre Kissen gedrückt wurde und gerade noch genügend Kraft übrig behielt, um mir Anweisungen und Schimpfworte zuzubrüllen, trug ich an der Arbeit und an der Last. So gut es ging, fuhrwerkte ich herum.
Damit Georg mich bei der Hausarbeit nicht störte, befahl meine Mutter ihn zu sich ins Bett. »Streichle die Mama doch mal ein bisschen«, forderte sie ihn auf. »Du hast die Mama doch lieb?«
»Ja«, antwortete Georg, und mir wurde kalt.
Nachts im Bett, als die tiefen Atemzüge der beiden Brüder verrieten, dass sie schliefen, flüsterte Georg mir ins Ohr: »Du, stell dir vor, die Mama hat gar keinen Pimmel. Die hat ein Loch, und das ist ganz heiß und
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