Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
Er darf mit dir machen, was er will. Du hast kein Recht, dich zu wehren.«
Hätte meine Mutter mich doch gefragt, und sei es nur mit einem Blick: »Wie fasst er dich an?« oder »Wo fasst er dich an?«, »Warum fasst er dich an?« oder »Wann fasst er dich an?« Ich hätte mich ihr anvertraut. Alles hätte ich ihr gesagt. Dann wäre kein Geheimnis mehr gewesen zwischen meinem Vater und mir. Mit einer kleinen Frage hätte sie mich beschützen können – mich retten können.
Aber meine Mutter fragte mich nicht. Und schon damals begriff ich instinktiv, dass sie mich absichtlich nicht fragte. Meine Mutter wusste alles. Aber sie wollte – vor mir, vor sich selbst – so tun, als wisse sie nichts. Und das wäre ihr unmöglich gewesen, wenn ich ihr erzählt hätte, was geschehen war. Ich durfte nicht reden, weil sie nichts hören wollte. Das Geheimnis, das mein Vater mir auferlegt hatte, erhielt eine neue Dimension.
Niemand sprach es aus. Aber ich begriff, dass mein Vater mich anfassen durfte, ob ich es wollte oder nicht. Er durfte alles. Ich durfte nicht Nein sagen. Ich durfte nichts. Ich war ein Nichts.
Stumm ging ich ins Badezimmer. Ich trat vorsichtig auf, mit jenem breiten, schwankenden Seemannsschritt, den ich mir heute mühsam mit Bewegungstherapien und Tanzübungen abzugewöhnen versuche. Damals und für viele Jahre danach konnte ich nicht anders gehen. Schmerz ist ein Lehrmeister. Meiner Mutter fiel es nicht auf. Ich erwartete auch nicht, dass sie es bemerkte.
Mein Vater saß im Wohnzimmer, als ich fertig angezogen war. Er legte die Zeitung aus der Hand, in der er soeben geblättert hatte. »Wie geht’s meinem Trampeltier denn?«, fragte er und nahm mich auf den Schoß. »Kleine Reise im Bauernkarren gefällig?«
Wie hatte ich dieses Spiel auf seinen Knien geliebt! Wie hatte ich das Hopsen, Gleiten und Holpern genossen und kreischend vor Vergnügen mitgesungen: »So reiten die Herren, so fahren die Damen, so rumpeln und pumpeln die Bauernkarren!«
Jetzt aber zuckte ich zusammen, als mein Vater meine Beine auseinander schob und mich an sich zog, bis sich sein Bauch gegen meinen kleinen Körper drängte.
Er hatte mich auch früher immer in die Halsbeuge und in die kleine empfindliche Kuhle unter der Kehle geküsst. Dabei hatte er lautstark geprustet, und ich hatte es genossen und gelacht und »Noch mal! Noch mal!« gebettelt.
Jetzt aber lachte ich nicht. Ich zitterte. Und als Boris »Ich! Ich! Ich!« schrie und mich beiseite zu drängen versuchte, wollte ich ihm willig den Platz überlassen.
»He, Fräulein Rühr-mich-nicht-an, hier geblieben!«, sagte mein Vater und zog mich zurück auf seinen Schoß, sodass mein Bruder hinter mir saß und mich noch enger an meinen Vater drückte.
Mein Vater grinste. »Siehst du! Ich kriege dich doch!« Er hielt mich fest. Und ließ meinen Körper – »So fahren die Damen!« – schaukelnd über seine Schenkel, seinen Bauch gleiten.
Ich zappelte. Ich wand mich. Ich wollte weg. Aber er gab nicht nach.
Ich wusste, ich hatte kein Recht, mich zu wehren. Er war lieb zu mir. Er küsste mich auf den Hals. Er knabberte an meinem Ohr. Er drückte meine Arme.
Ich durfte nicht schreien. Ich durfte nicht. Das Gesicht meines Vaters war das der vergangenen Nacht.
Nein, es war nicht nur ein Traum gewesen. Es war nicht vorüber. Nichts war vorüber. Ich fühlte, es würde wiederkommen. Ich ängstigte mich zu Tode. Mein Vater hielt mich fest im Arm. Er drückte meinen Po. Sein Schnaufen an meinem Ohr klang schrecklich.
»Papa, was ist denn?«, fragte Boris besorgt hinter mir und hörte auf, Bauernkarren auf Vaters Knien zu spielen. »Papa, tut dir was weh?«
Ich schmeckte Blut im Mund. Ich hatte mir auf die Zunge gebissen vor Angst. Aber ich hatte nicht geschrien. Nicht laut, nur tief in meinem Innern. Niemand hatte es gehört. Nur ich.
Mein Vater hörte auf zu schnaufen. Er kniff ein Auge zu und blinzelte meinem Bruder zu. »Alles in Ordnung, Kumpel!«, sagte er, ließ uns von seinen Knien rutschen und gab mir einen Klaps auf den Po. »Geht spielen! Draußen scheint die Sonne.«
Die Sonne? Ich musste erst überlegen, was das war.
VI
Manchmal, wenn ich nachts plötzlich aus dem Tiefschlaf auffahre und zur Toilette muss, kann ich mich kaum überwinden, den Klodeckel zu öffnen und mich zu setzen. Eine unsagbare Angst schnürt mir die Brust zusammen und nimmt mir den Atem. Und vor meinem inneren Auge sehe ich zwei knorrige Altmännerhände mit nikotinbraunen Fingern aus der
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