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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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ungewohnten Stückchen Freiheit nicht zurecht. Ich war anders als andere Kinder: aggressiver, verlogener, verstockter und ungeschickter. Mehr Geschick besaß ich allenfalls in der Anwendung von Ausdrücken, die Lehrer und fremde Eltern auf die Palme brachten. Es half auch nichts, dass mir »böse Worte« verboten wurden. Denn für mich waren die betreffenden Ausdrücke nicht böse, sondern der familiären Umgangssprache entnommen und also normal.
    Eltern, deren Kinder das von mir Gehörte mit Wonne aufschnappten und weiterverbreiteten, beschwerten sich beim Vorschulpersonal über mich. Diese beklagten sich bei meinen Eltern. Und die wiederum bestraften mich für meine Ungehörigkeiten. Nur ich – ich hatte niemanden, den ich verantwortlich machen konnte für mich.
    In jener Zeit war es wohl, dass meine Eltern das Gerücht von meiner geistigen Zurückgebliebenheit in die Welt zu setzen begannen. Es war ja das Einfachste, wütenden Eltern, die über mich Klage führten, den Wind mit den Worten aus den Segeln zu nehmen: »Die Monika ist leider unser Sorgenkind, Sie wissen schon ...«
    Eine solche Vorsorge war äußerst umsichtig, ja geradezu weitsichtig. Falls ich je auf den Gedanken verfallen sollte, etwas von dem zu verraten, was man mir zu Hause antat, wären meine Eltern fein aus dem Schneider gewesen. Ein Kind, das »nicht ganz richtig ist«, plappert halt viel dummes Zeug daher. Die armen Eltern! Wie sind sie geschlagen mit einem solchen Kummerkind!
    In all den Jahren bis zu meiner Flucht aus dem Elternhaus erfuhr ich die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahme immer wieder am eigenen Leibe. Selbst wenn meine Eltern mich auf offener Straße ohrfeigten und wenn ich vor Schmerzen so laut brüllte, dass es noch drei Straßen weiter zu hören war – nie kam mir jemand zu Hilfe oder ergriff für mich Partei. Die Leute beschwerten sich höchstens über den Lärm, den ich veranstaltete. Meine Mutter hob dann immer nur vielsagend die Schultern und seufzte: »Sie hat wieder mal ihre fünf Minuten. Sie können sich nicht vorstellen, was wir mit diesem Kind durchmachen. Schrecklich!«
    Allmählich begann ich selbst, an meine geistige Beschränktheit zu glauben. In der Vorschule bewahrheitete sich tagsüber, was mir meine Eltern unablässig einbläuten: »Du bist doof! Du bist blöd! Du bist ein Niemand, ein Nichts! Du bist es nicht wert, geboren zu sein!« Wie geschickt die anderen Kinder waren, wie flink und beweglich! Wie viel Lieder sie auswendig kannten! Ich hingegen war nur ein Moppel, ein dicker, doofer Trottel.
    Tante Inge war es schließlich, die mich wieder unter ihre Fittiche nahm. Wie früher schon, als ich noch kleiner war, leitete sie mich an ihrem Küchentisch an, mit Schere, Klebstoff und Papier umzugehen. Unter ihrer Anleitung entstanden auch meine ersten Strichmännchen. Sie kamen seltsamerweise lange, lange Zeit ohne Mund und ohne Arme daher. Eines meiner »Kunstwerke« aus dieser Zeit klebt noch in meinem Tagebuch. Wenn ich es betrachte, höre ich wieder Tante Inges Mahnung: »Mal doch einmal ein richtiges Gesicht, Monika!«
    Heute weiß ich, wie viel man aus Kinderbildern herauslesen kann. Ein Psychotherapeut hätte schon damals seine Schlüsse aus meinen Bildern ziehen können: Die Menschen, die ich malte, waren stumm und handlungsunfähig.
    Doch wer hätte sich damals für meine Bilder interessieren sollen? In den Augen meiner Erzieherinnen war ich eben ein künstlerisch unbegabtes Kind. Warum sollten sie ein besonderes Augenmerk auf mich richten? Ihren pädagogischen Pflichten genügten sie doch schon, wenn sie meiner Mutter hin und wieder mitteilten, dass ich allmählich lernte, mit der Hand über den Kopf nach meinem Ohr zu greifen.
    Meiner Mutter war es ziemlich egal, ob ich in der Vorschule Lob oder Tadel erhielt. Indem ich für nicht schulreif befunden worden war, hatte ich in ihren Augen versagt. Und damit – um es mit ihren eigenen Worten auszudrücken – bei ihr »verschissen bis in die graue Steinzeit«.
    Nur einer hatte mich lieb: mein Vater. Es gab so viel, bei dem er mir helfen – und für das ich ihm dankbar sein musste! »Aber sicher mache ich dir die Knöpfe zu, mein Engelchen. Gib dem Papi einen Süßen dafür!« – »Wenn ich das Bild hier für dich ausschneide, musst du aber auch besonders lieb zu deinem Papi sein!« – »Ich singe ja mit dir, aber erst versprichst du mir, dass du heute Abend ein liebes Mädchen sein wirst!«
    Alles hat seinen Preis; ich lernte es früh. Bei meinem

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