Monrepos oder die Kaelte der Macht
den die CDU souverän bewältige.
Gundelach traute seinen Ohren nicht. War Specht tatsächlich so naiv anzunehmen, die Zeit werde stillstehen, bis er das richtige Datum, den Wechsel zu vollziehen, für gekommen hielt? Hatte er wirklich die Illusion, Deusel werde am nächsten Dienstag, wenn die CDU-Fraktion turnusmäßig tagte, übers Wetter reden und Ruhe für die erste Parteipflicht erklären? Bemerkte Specht nicht, daß er schon jetzt nichts mehr zu sagen hatte?
Nach einer halben Stunde war die Sitzung beendet. Sie flogen zurück in die Landeshauptstadt. Punkt achtzehn Uhr traten Specht, Reiser und Gundelach in den überfüllten Kabinettssaal, der in heißes, gleißendes Scheinwerferlicht getaucht war. Specht erklärte seinen Rücktritt und ließ keine weiteren Fragen zu. Reiser umarmte ihn gerührt und geleitete ihn hinaus. Gundelach folgte als Letzter und gab Specht, der sich anschickte, auf die ihm nachgerufenen Fragen doch noch zu antworten, einen Schubs.
Er fand, es war genug. Endgültig.
Gundelach fuhr in seine Wohnung und begann, Koffer zu packen. Außerdem schrieb er einen Brief, mit dem er das Mietverhältnis zum Quartalsende kündigte. Am Montag morgen informierte er Staatssekretär Dr. Behrens, daß er seinen in den vergangenen Jahren aufgelaufenen Urlaub von etwa hundert Tagen in einem Zug nehmen und danach aus dem Staatsdienst ausscheiden wolle.
Behrens zeigte sich überrascht und empfahl Gundelach, sich den Schritt reiflich zu überlegen. Gundelach erwiderte, dazu hätte er genügend Gelegenheit gehabt. Dann solle er sich wenigstens die zweijährige Rückkehroption, die ihm zustehe, schriftlich bestätigen lassen, meinte der Staatssekretär.
Ich wußte gar nicht, daß es sowas gibt, sagte Gundelach. Aber warum nicht? Man kann nie wissen.
Die Personalabteilung wurde angewiesen, die Entlassungsurkunde so schnell wie möglich auszufertigen und von Minister Reiser als dem amtierenden Ministerpräsidenten unterschreiben zu lassen.
Dienstags legte sich die CDU-Fraktion auf Deusel als neuen Ministerpräsidenten fest. Seinen einzigen denkbaren Konkurrenten, den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, hatte Deusel gleich nach der Präsidiumssitzung am Sonntag aufgesucht und ihm mitgeteilt, daß er sich auf jeden Fall bewerben werde. Der Oberbürgermeister hatte erklärt, er hege keine eigenen Ambitionen.
Gundelach ließ sich zum Bahnhof fahren, um seine Koffer nach Hamburg aufzugeben. Unterwegs hörte er im Radio, seine Ablösung als Regierungssprecher sei beschlossene Sache. Während der Rückfahrt rief ihn Deusel im Auto an und versicherte, die Meldung stamme nicht von ihm. Zwar werde Gundelach nicht Regierungssprecher bleiben können, aber er, Deusel, habe keinen Zweifel, daß man eine ›gute Lösung‹ für ihn finden werde.
Gundelach bedankte sich und sagte, er werde Schloß Monrepos verlassen.
Ah ja, sagte Deusel verblüfft. Dann hat sich das Problem ja schon erledigt. Im Schloß verabschiedete sich Gundelach von seiner Sekretärin und seinem Fahrer. Anschließend rief er den Staatssekretär an und erfuhr, daß seine Entlassungsurkunde bereits vorliege. Er bat, sie ihm gleich auszuhändigen.
Er ging den Flur entlang, am Kabinettssaal und den verwaisten Amtsräumen des Ministerpräsidenten vorbei und dachte: So ist das. Jetzt ist das vielgeschmähte Eckzimmer das einzige, das noch Leben hat. Es wird wohl alles etwas ruhiger zugehen künftig, geordneter. Vielleicht auch langweiliger. Die Welt wird nicht mehr umgekrempelt, und sie wird es nicht mal merken. Wie ich Deusel kenne, hat er für alles eine ordentliche Schublade. Wie Behrens auch, darum wird Deusel ihn mit Sicherheit behalten. Das Mobiliar seines Vorgängers aber wird er rausschmeißen. Das als erstes.
Dr. Behrens überreichte Gundelach die Urkunde und sprach ihm, dem Text gemäß, den Dank der Landesregierung für die geleistete Arbeit aus. Er fragte, ob Gundelach noch für eine Tasse Kaffee Zeit habe.
Das ist sehr nett von Ihnen, sagte Gundelach, aber ich bin etwas in Eile. Mein Zug fährt in einer Stunde.
Wenn ich jünger wäre, sagte Dr. Behrens, würde ich auch noch mal von vorne anfangen. Aber so –
Nein, nein, sagte Gundelach. Sie müssen bleiben. Sie werden hier gebraucht. Alles Gute!
Der Staatssekretär wollte Gundelach hinausbegleiten, doch der wehrte ab. Er lief die Granittreppe hinunter, gab der Marmorgöttin einen aufmunternden Klaps und zog den schweren Flügel der Eingangstür hinter sich zu.
Gemächlich folgte
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