Monrepos oder die Kaelte der Macht
Film- und Fotomaterial? Und dann der ungestüme, keinen Aufschub duldende Auftritt des Herrn Müller-Prellwitz! In der Grundsatzabteilung liefen mit Sicherheit alle parteipolitischen Fäden, alle geheimnisträchtigen Informationsströme zusammen!
Er war, es konnte nicht anders sein, entdeckt. Und das würde Folgen haben, die weit über den Tag hinausreichten. Ach, es ging ja schon gar nicht mehr um seine verwegene, jeder hierarchischen Ordnung hohnsprechende Bewerbung an die oberste Behörde des Landes. Die war abgehakt, schmählich verworfen. Weit Ernsteres stand auf dem Spiel: seine ganze, noch gar nicht richtig aufs Laufbahngleis gestellte Beamtenexistenz. In keinem Land, Bayern vielleicht ausgenommen, wurde der Radikalenerlaß so unnachsichtig exekutiert wie im hiesigen. Gab es nicht Beispiele genug, bei denen sogar schwächere Indizien als in seinem Fall für eine Einstellungsverweigerung ausgereicht hatten? Daß man ihn als Assessor akzeptiert hatte, besagte wenig. Es handelte sich immer noch um ein Probeverhältnis, bei dem die Überprüfung pauschal und formal vorgenommen wurde. Im nächsten Jahr aber war über seine Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zu befinden. Ein Blatt nur, ein einziges, in dem ihm verfassungsfeindliches Handeln angeheftet wurde, konnte seinen Lebensweg zerstören …
Ich glaube, begann er mit belegter Stimme, ich sollte Ihnen erklären oder zu erklären versuchen, warum ich seinerzeit −.
Er hörte sich reden, und ein zweites Ich, dem er nie zuvor begegnet war, sagte mit spöttischer Verwunderung: Warum unternimmst du nur so etwas Sinnloses!
Es tut mir leid, unterbrach ihn Bertsch, aber wir müssen das Gespräch jetzt beenden. Der Ministerpräsident hat ad hoc eine Besprechung angesetzt. Ich denke, wir konnten uns trotzdem ein ungefähres Bild von Ihnen und Ihren Fähigkeiten machen, und ich hoffe, Sie haben einen gewissen Eindruck von unserer Arbeit gewonnen. Wir werden in Kürze eine Entscheidung treffen. Sie bekommen dann umgehend Bescheid.
Bertsch sprach schnell und präzise, als wollte er niemanden mehr zu Wort kommen lassen. Noch während des Schlußsatzes erhob er sich. Beim Hinausgehen drückte er Gundelach kräftig die Hand. Matt erwiderte Gundelach den Gruß, mechanisch verabschiedete er sich von den anderen. Die Herren blieben sitzen. Ehe er die Tür schloß, kehrte Bertsch dem Assessor noch einmal sein Gesicht zu: es war straff, braungebrannt, mit einem metallisch grauen Augenpaar und schmalen Lippen, die unmerklich nach innen zu lächeln schienen.
Der Pförtner bestellte ein Taxi. Es hielt genau vor dem säulenumrundeten Eingangsportal. Gundelach nannte als Ziel seine Zweizimmerwohnung im Westen der Stadt. Er wollte nach Hause. Nichts wie weg. Abwesend starrte er in den Park. Runter geht’s schneller, sagte er. Der Fahrer blickte verständnislos in den Rückspiegel.
Eine Woche später teilte besagter Ministerialrat Keller dem im Landratsamt zerstreut eine wasserwirtschaftliche Genehmigung ausfertigenden Assessor telefonisch mit, er möge seinen Dienst am 2. Mai in der Staatskanzlei antreten.
Die Nachricht war knapp und endete mit kollegialen Glückwünschen.
Besichtigung des Olymp
Wir fangen am besten unten an und arbeiten uns systematisch nach oben!
Andreas Kurz, beauftragt, dem Neuankömmling im Schloß Monrepos eine erste Orientierungshilfe zu geben, empfing Gundelach schon am Eingang. Ohne zu zögern, überquerte er ein mit gelben und roten Tulpen umgrenztes Rasenrondell, das sich dem Rund des Säulenportals wie eine spiegelbildliche Ellipse entgegenwölbte. Dann nahm er in der Manier eines Fremdenführers Aufstellung und bedeutete Gundelach, er möge sich nicht scheuen, das Gras gleichfalls zu betreten.
Von hier aus haben Sie den besten Blick, sagte er. Ich will Ihnen erst mal erzählen, in was für einem Schuppen Sie gelandet sind.
Schuppen ist gut, dachte Gundelach. Schon bei der Begrüßung war ihm die unkonventionelle Art aufgefallen, mit der Andreas Kurz sich vorgestellt hatte. Kein Titel, keine Funktion, einfach Vor- und Nachname. Instinktiv faßte er Vertrauen zu dem etwa Gleichaltrigen, der sich mit beneidenswerter Nonchalance vor der steinernen Kulisse bewegte, während der Assessor eckig herumstand.
Schloß Monrepos, sagte Kurz, ist jünger als Sie vermuten werden. Es wurde zwischen 1893 und 1897 von einer Nichte des damaligen Königs Wilhelm erbaut, und zwar mit Absicht an diesem Platz hoch über der Stadt. Friederike, so hieß die Dame,
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