Monster (German Edition)
Benjamin sind jetzt seit zwei Wochen nicht mehr zusammen.
Er klingelt an der Tür. Nina macht auf. Sie ist nicht am Fluss. Sie hat ihren Schlabberjogginganzug an.
»Hallo. Ich will die ›Santa Maria‹«, sagt er und drückt sie an die Seite.
»Die was?«
»Das Schiff von deinem Opa.«
Nina versucht ihn festzuhalten, sie sagt etwas wie »Raus hier!«, aber er stößt schon die Tür zu dem Zimmer von Ninas Opa auf.
Das Schiff ist nicht da. Der ganze Rest, der nutzlose Schreibtisch, das unheimliche Krankenbett, steht noch im Zimmer. Nur die Wand ist leer.
Er denkt, er guckt Nina fragend an. Aber es muss anders aussehen, weil sie ängstlich schaut, wie ein Mädchen, das sich damit abgefunden hat, dass es gleich geschlagen wird oder vergewaltigt.
»Das Schiff ist hinten im Schuppen mit dem anderen Zeug weggeschlossen, und jetzt hau ab«, sagt Nina.
»Kann ich’s haben?«
»Spinnst du eigentlich? Meldest dich den ganzen Sommer nicht und kommst dann wegen einem blöden Holzschiff an. Was bist du eigentlich für ein Arsch?«
»Kann ich’s haben? Bitte.«
»Ich weiß nicht. Hau ab, hau ab oder ...«, sagt Nina, und er merkt, dass sie jetzt richtig Angst vor ihm hat und dass sie gleich weinen wird.
Die Brettertür ist verschlossen. Er kann nicht glauben, was er da tut, er hält einen Spaten in der Hand und weiß nicht, woher er den hat. Er schlägt auf das Schloss ein. Wenn Nina die Polizei ruft, schließen die ihn weg, und sein Vater freut sich, dass der Freak aus seinem Haus raus ist. Das Schloss springt ab. Ein Lichtschalter klickt, Leuchtstoffröhren rasseln im Schummerlicht des Schuppens, als würden Tausende zitternde Käfer versuchen, auf die Beine zu kommen, und er findet die »Santa Maria«. Das Schiff liegt gestrandet auf dem dreckigen Schuppenboden hinter dem Rasenmäher. Hier haben sie ihren Opa begraben, denkt er. Dann greift er sich die »Santa Maria«.
Das Schiff liegt schwer in seinen Armen, er kommt kaum an den Fahrradlenker, seine Beine treten in die Pedale und lassen es auf und ab hüpfen. Die Reling drückt ihm zwischen die Rippen, die Masten stechen nach seinem Gesicht, Staub und Spinnenweben wehen ihm in den Mund, in die Nase, die Augen. Er leckt den Staub von seinen Lippen.
Staub, heißt es, besteht zu 85 Prozent aus Hautschüppchen, aus Menschenresten, aus Ninas Opa.
Er fährt das alles zum Fluss. Er lässt das Rad in den Sand rasseln, fühlt sich auf einmal verfolgt. Er schleppt das Schiff etwas abseits vom Strand, abseits der Leute, durch hohes Gras und wilde Hecken zum Wasser. Er setzt die »Santa Maria« ins Wasser. Er sieht schon, wie der Wind in die kleinen Segel greift, wie der Fluss immer breiter und zum offenen Meer wird. Und der Staub und das Salzwasser vermischen sich auf der monatelangen Fahrt zu Leben. Und der Staub wird wieder zu Ninas Opa oder etwas Besserem. Zu einem gesunden Opa. Und am Strand von Hispaniola lächelt Las Casas milde und hebt die kleine Karavelle aus dem Wasser.
Benjamin setzt die »Santa Maria« in den Fluss.
Sie kippt um.
»Ein hochseetauglicher Dreimaster, 23,6 Meter lang und knapp acht Meter breit, gebaut ohne einen Plan oder eine Zeichnung, nur mit einem untrüglichen Gespür für Stromlinie und Proportion.«
Sie kippt einfach um, sie kippt zur Seite und geht sofort unter. Benjamin versteht das noch gar nicht, da liegt das Schiff schon auf dem Flussgrund. Das Wasser ist ganz klar und zeigt ihm den Schiffsbauch, wie er auf der Seite liegt, ein hölzernes Grinsen auf dem Flussgrund.
»Was willst du denn schon wieder hier«, fragt Nina. Ihr gelbes Haar ist zerwühlt, sie hat rote Augen. »Was kommst du hierher? Du hast das Boot geklaut. Du hast die Schuppentür«, sie sucht nach dem richtigen Wort, »demoliert. Aufgebrochen. Wo ist das Boot? Du Schwachsinniger.«
»Sie ist einfach untergegangen«, sagt er, »ich weiß auch nicht, was ich hier mache.« Und er will, dass sie sagt, komm rein, du dummer Junge. Er will, dass sie sagt, komm rein, du dummer Junge, und ihn dann auf ihr Bett zieht und sein Ding in sich reinschiebt oder von Kolumbus erzählt. Er will, dass sie noch mal fragt, liebst du mich?
»Du kannst jetzt hier nicht rein«, sagt sie, »ist grad einer da. Wenn du willst, können wir uns die Tage mal am Fluss treffen. Ich weiß echt nicht, wann ich das nächste Mal da bin.« Jetzt weint sie richtig, und Benjamin weiß gar nichts mehr.
Sein Zimmer ist ein lahmer Raum. Ein Kleiderschrank, ein schmales Bett, kein Fickbett.
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