Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Maack
Vom Netzwerk:
sich um. Im Augenwinkel sieht er ein rotes Gesicht zwischen zerwühlten, gelben Haaren. Vom Bürsten ist jedenfalls nicht mehr viel zu sehen.
    Er liest: »Wieder anderen und zwar allen, die Nina am Leben lassen wollte …«
    »Lass den Scheiß, du Arsch«, sagt sie und packt das Buch.
    Er drückt es fest auf die Bettdecke. Er liest: »… schnitt Nina beide Hände ab …« Nina zerrt stärker. Er hält das Buch fester. Er liest: »… hängte sie ihnen um … « Er liest: »… und …« Dann reißt das Buch. Einmal in der Mitte durch, und Nina schleudert ihre Hälfte in die Ecke, wie eine tote Ratte.
    Er sagt: »Spinnst du?« Nina atmet schwer. Er sieht sie fassungslos an und sagt: »Jetzt völlig?« Nina atmet. Er packt die Buchseiten, den Pappeinband vom Bett, die Fetzen in der Ecke, stopft alles unter seinen Pulli. Er spürt Panik in sich hochkommen.
    »Okay«, sagt er zu Nina, »wenn du nicht willst, les ich eben bei mir weiter. Bis morgen.«
     
    Als Benjamin am nächsten Tag sein Fahrrad vor dem Haus von Ninas Eltern parkt, steht ein Leichenwagen vor der Tür.
    Nina und Benjamin sind jetzt seit zwei Wochen und einem Tag zusammen.
     
    Die Spanier stehen auf. Dann kommen sie, die Spanier. Spanische Männer, träge Kerle, schmutzig und verschwitzt unter den eisernen Brustpanzern und Helmen mit dummen Blicken, aufgedunsenen Fingern. Die sind heiß und nass. Halbirr von dem tropischen Fieber, das hier alle Insekten übertragen, hetzen sie über das, was vor Stunden ein Dorf war, wühlen in der warmen Asche. Lassen ihren Schweiß in die Asche tropfen. Lassen das alles, die Hütten und Götter und Leiber wieder und wieder und wieder durch die Finger rinnen. Ein feiner grauer Staub.
     
    Jetzt, wo Ninas Opa tot ist, steht Benjamin ganz nah vor der »Santa Maria«. Er schaut über das leere Deck wie ein kaltes Seeungeheuer, seine Nase berührt das Schiff beinahe. Er riecht den Staub und muss fast niesen. Er möchte pusten. Einfach den ganzen Staub von Deck und von den Segeln pusten. Die Luft ist heute schwer zu atmen, noch schwerer in dem hochgeknöpften, weißen Hemd mit der schwarzen Krawatte, die sein Vater für ihn am eigenen Hals gebunden und dann um den des Jungen zugezogen hat. Es ist gut, zu einer Beerdigung zu gehen. Das treibt die Trauer aus den Knochen. Sagt sein Vater.
    Den schwarzen Anzug hat er von einem Freund geborgt, der ihn hatte, weil vor ein paar Monaten seine Schwester gestorben ist.
    »Drei Schlaganfälle«, hat Nina immer gesagt, als wäre das in dem Zimmer gar nicht mehr ihr Opa, sondern ein erstaunliches Experiment. An seinem vierten ist er dann gestorben.
    Benjamins Hände hängen dumm und ratlos aus den Anzugärmeln. Er möchte pusten, seine Lungen füllen und Staub wegpusten, bis er blau anläuft und rückwärts auf den Teppich knallt.
     
    Der Raum ist muffig, eine Souterraingruft mit dicken dunklen Vorhängen und Fliesenboden. Er weiß nicht, warum er mitgekommen ist.
    Nina und er sind jetzt seit drei Wochen zusammen.
    Nina ist dramatisch geworden. Sie kann das nicht, aber sie muss das machen, weil sie es sonst für immer bereut. Aber sie kann das eben nicht. Nicht allein. Das hat sie ihm erzählt und ihren Eltern, immer wieder, und jetzt steht er da.
    Ninas Eltern sind unruhig wie Geisterbahnbesucher, treten von einem Fuß auf den anderen, als der Bestatter den Deckel hochklappt.
    »Oh, Großvater«, ruft die Mutter. Und Benjamin denkt, dass Ninas Opa doch eigentlich der Schwiegervater von Ninas Mutter ist. Nina hängt an seiner Schulter, schaut kurz hin, sieht wieder weg und drückt ihr verrotztes Gesicht an seine Schulter.
    Wer behauptet, dass Leichen aussehen, als würden sie schlafen, lügt oder hat noch nie eine gesehen. Ninas Großvater hatte graue Haut, als er noch lebte, dünn wie Butterbrotpapier, mit einem Netz grünblauer Äderchen drunter und sehr lilafarbene Ringe um die Augen. Jetzt ist sein Gesicht beige mit zwei rosafarbenen Flecken, die entschieden zu nahe an der Nase sind, um als rosige Wangen durchzugehen. Und der schlaganfallschiefe Mund ist jetzt eine schmale Linie, die in jedem Winkel eine Kurve nach oben beschreibt, was ein zufriedenes Lächeln sein soll.
    Und auf einmal weiß Benjamin, dass es nicht sein kann, dass jemand ewig in seinem Zimmer im Rollstuhl sitzt und dann plötzlich weg ist. Auf einmal weiß er, dass das hier nicht Ninas Opa sein kann. Dass er jetzt sofort zu Ninas Haus laufen und nachsehen muss, ob Ninas Familie ihren Großvater nicht einfach in

Weitere Kostenlose Bücher