Monster (German Edition)
ein anderes Zimmer gerollt hat, das genauso aussieht wie seines, ein Paralleluniversum, und der Opa fragt sich, warum der Junge ihn nicht mehr besuchen kommt oder hat ihn längst vergessen, oder sie haben einen anderen Jungen gemietet, der ihn jetzt besucht, der sich jetzt die Geschichten von dem beschissenen Eroberer Kolumbus anhört. Dann denkt Benjamin an die verwitwete »Santa Maria«, und seine Augen werden nass. Aber das ist gleich wieder weg, weil Nina mit einem bescheuerten Unterton in der Stimme fragt, ob er auch glaubt, dass es ihm, dem Großvater, da bessergeht, wo er jetzt ist. Dann wird der Sarg mit dem gefälschten Opa drin in den Leichenofen gefahren. Noch mehr Staub in der Welt.
Ninas Opa sagt: »Wo ist mein Buch, dummer Junge.«
Es ist stockdunkel. Ninas Opa ist fort. Es braucht endlose Sekunden, bis er wieder weiß, dass Ninas Opa tot ist. Er rutscht aus einem Bett, das nicht seins ist. Es ist kalt. Er bekommt eine Gänsehaut. Er ist nackt. Die Kälte fasst ihn an. Er krabbelt über den Boden. Er tastet nach einem Ausgang. Er tastet sich an der Wand entlang. Er kratzt über den Teppich, seine Fingernägel scharren über grobe Teppichschlaufen. Er riecht Staub. Er stößt mit dem Kopf gegen eine Türkante.
»Benjamin?«
Er erinnert sich. Nina. Er durfte bei ihr schlafen, ausnahmsweise, weil Beerdigung war. Er rührt sich nicht. Wartet, bis er ihren ruhigen Atem hört. Sie schläft schon wieder.
Er sitzt auf dem Rad. Er fährt nach Hause. Der Mond ist hell, leuchtet bleich einen ganzen Himmel voll geisterhafter Wolken an. Die Nacht ist ein riesiges Nina-Zimmer. Das Rad fährt Schlangenlinien, weil er sich immer wieder mit der Faust auf den Hinterkopf schlägt.
»Hallo benjamin. Du hast nicht auf meine sms geantwortet. Melde dich halt mal oder komm zum fluss. Da bin ich den rest des sommers. Die beerdigu«
»ng hat das ganze geld für den urlaub aufgefressen. Wir fahren also doch nicht nach spanien.«
Nina und Benjamin sind jetzt seit zwei Tagen nicht mehr zusammen.
»Hey benjamin. Weißt du, wie scheiße das von dir ist. Meine eltern fragen auch schon, was jetzt los ist. Erst mit zur beerdigung kommen und dann das. Ich weiß ec«
»ht nicht, was das soll. Was bist du denn für einer?«
Sie sind jetzt seit fünf Tagen nicht mehr zusammen.
»Hallo, hier ist nina. Bist du im urlaub und kannst nicht zurückrufen? Sind wir jetzt nicht mehr zusammen? Oder was?«
Seit acht Tagen nicht mehr zusammen.
»Das ist alles so scheiße. Habe jetzt wen am fluss getroffen. Der sieht echt gut aus. Also, richtig gut.«
Seit zehn Tagen.
Sein Zimmer ist ein lahmer Raum. Ein Kleiderschrank, ein schmales Bett, kein Fickbett wie das bei Nina. Weiße Wände ohne Poster. Ein Jugendlicher ohne Poster ist ein Jugendlicher ohne Interessen, sagt sein Vater. Er habe alle seine Wände voll gehabt mit allem möglichen verrückten Zeug und dafür damals mächtig Ärger von seinen Eltern bekommen. Er meint damit: Ein Jugendlicher ohne Poster ist ein Jugendlicher ohne Herz. Benjamin glaubt, er macht seinem Vater Angst. Er glaubt, sein Vater denkt, dass sein Sohn so eine Art Irrer ist, ein Außenseiter. Nicht so einer wie er wohl war, weil sein Sohn im Sommer nicht an den Fluss geht und im Winter nicht Eishockey spielt. Sein Vater denkt, er wäre einer, der sein Leben verkackt, weil niemand kommt, um mit ihm Rockmusik oder Techno zu hören. Als Benjamin immer bei Nina war, als er mit zur Beerdigung ist, war sein Vater stolz wie sonst was. Dass sein Sohn jetzt fickt oder was er sich vorgestellt hat.
Er liegt auf dem Bett und blättert in den Fetzen von dem Kolumbusbuch. Er macht das jeden Tag, blättert immer wieder zu den Seiten mit dem Mönch. Erst ist er mit den Spaniern über die Inseln gezogen, Indios abschlachten. Dann hat er sich jahrelang Sklaven gehalten, und auf einmal verpfeift er seine alten Erobererfreunde, lässt alle seine Indios frei und rechnet mit der Sklaverei ab, steht da drin. Für Benjamin passt das kein Stück zusammen. Einmal malt er was in das Buch. Eine Zeichnung wie Las Casas, die Faust in die Möse von Nina rammt, und sie beißt ihm die Eier ab. Blut läuft aus Ninas Mundwinkeln. Und in einer Sprechblase daneben steht: »Und das ist nun der Dank für alles?« Aus Las Casas’ Augen laufen graue Bleistifttränen.
Nachts liegt er wach, bis er aufsteht und die Zeichnung rausradiert. Er weiß nicht warum, seine Schulbücher sind voll von solchem Quatsch.
Nina und
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