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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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einen isolierten Auswuchs, der nach der Quantität des Nervengewebes als Klitoris diente.
    »Sehen Sie«, sagte Chirurg A zu Chirurg B und fuhr sich mit zitternden Händen über die Glatze, »es wird kein Problem sein, authentische Geschlechtsorgane zu formen. Doch wenn wir das tun, werden diese Wesen ein höllisches Leben haben. Auf welche Toilette sollen sie gehen, um Gottes willen? Welche Umkleidekabine sollen sie in der Schule benutzen?«
    Die Chirurgen versuchten im Beisein des Priesters, den Eltern die Problematik zu erläutern.
    »Er ist ein Junge«, sagte Lek stur. »Sein Name ist Bertran.«
    »Eine Tochter«, insistierte Maria, die sich über Lek ärgerte, weil er sie in diese Sache hineingezogen hatte. Zumal sie im Grunde ihres Herzens wußte, daß sie kein Kind mehr bekommen würde, und nun hieß es ›jetzt oder nie‹. »Meine kleine Nela.«
    »Wir beten zu Gott, daß er Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten segnet«, sagte Vater Jabowsky, der indes davon überzeugt war, daß, was auch immer die Ärzte taten, bedeutungslos war, daß Geschlechtsorgane verzichtbar waren, denn auf sie würde es nicht ankommen in der anderen Welt, der einzigen, auf die es ankam.
    Die Chirurgen, die mit einem Prozeß für den Fall rechneten, wenn sie es taten, und die wußten, daß man sie verklagen würde, wenn sie nichts taten, beugten sich dem Unvermeidlichen, riefen ihre Anwälte an und ließen einen Stapel Verzichtserklärungen aufsetzen und von den Eltern, deren Eltern und allen Verwandten unterschreiben, deren sie habhaft wurden. Die Chirurgen, welche die Operation durchführen würden, waren emeritierte Professoren der medizinischen Fakultät. Die Spezialisten für plastische Chirurgie waren deshalb aus dem Ruhestand geholt worden, weil man davon ausging, daß sie schon tot wären, wenn die Babies volljährig wurden und eine Klage anstrengen konnten. Bisher war das Wort ›Kunstfehler‹ zwar nicht gefallen, aber niemand wollte ein Risiko eingehen.
    Die Operationen wurden durchgeführt. Das Gewebe verheilte. Die Zeit verstrich. An einem schönen Frühlingstag wurden die Zwillinge in St. Seraph auf den Namen Bertran und Nela Korsyzczy getauft, Kinder der Mutter Kirche, Erben des Glaubens. Bertran trug einen blauen Samtanzug mit einem weißen Spitzenkragen. Nela trug ein rosa Satinkleid mit besticktem Rüschensaum. Maria hielt sie und strahlte entschlossen. Lek stand ihr zur Seite, wobei der kleine Bertran mit der rechten Hand einen seiner dicken Finger umklammerte. Maria war in Gedanken bei den schönen Kleidchen, die sie Nela zum Schulanfang nähen würde. Lek fragte sich, ab welchem Alter er seinem Sohn wohl Baseball beibringen könne. Er vermied es indes, das Bildnis der Jungfrau anzusehen, das gleich hinter dem Taufbecken in der kleinen Kapelle stand. Irgendwie hatte Lek den Eindruck, daß die Jungfrau ihn hängengelassen habe.
    Weder Lek noch Maria betrachteten die Situation realistisch, doch es war auch eine besondere Situation, die eine realistische Betrachtungsweise verlangte. Beide warteten auf den Tag, da die Kinder voneinander getrennt wurden – ›Wenn die Technik soweit ist‹, hatte der Doktor wiederholt mit sanfter Stimme gesagt –, und bis dahin (Gewiß nicht lang! Höchstens ein Jahr oder so!) mußte man sich eben in Geduld üben und beten.
    Aber kein Sex mehr. Lek brachte sich nicht mehr dazu, zumindest nicht mit Maria. Nicht, nachdem er gesehen hatte, was dabei herausgekommen war. Er machte sich Vorwürfe, daß er sie so unter Druck gesetzt hatte. Er hatte ihr gesagt, es sei seine moralische Pflicht, aber Teufel, es hatte ihm gefallen. Er hatte sie begehrt, und Lust war eine der sieben Todsünden, und vielleicht trug er die Verantwortung für das alles.
    Lek wußte natürlich nichts von dem Medikament. Maria hatte es ihm nie gesagt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß sie es ihm besser nicht sagte. Vielleicht war sie verantwortlich für das alles. Sie erwog schon, Lek zu sagen, daß sie keine Kinder mehr bekommen konnte, wovon zumindest sie und der Doktor ausgingen, weil er beim Kaiserschnitt Anomalien entdeckt hatte, die ihm bei den vorhergehenden Tests verborgen geblieben waren; aber was, wenn sie aufgrund wundersamer Umstände erneut schwanger wurde? Sie durfte auch keine Geburtenkontrolle betreiben, denn Lek würde es irgendwie herausfinden. Auch wenn der Doktor anbot, ihr Pillen in einer Flasche mit einem falschen Etikett zu geben, das den Inhalt zum Beispiel als Mittel gegen Anämie deklarierte,

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