Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Serrurier, im Gespräch lauernd, Gaston Serrurier, der mit einer ebenso schroffen wie geschmeidigen Distanziertheit dieses kleine Pariser Universum beobachtete, das im Kerzenschein dahinkümmert und dabei glaubt, das Leuchtfeuer der ganzen Welt zu sein, dieser Gaston Serrurier hatte den von Iris in den Ring geworfenen Handschuh aufgenommen und es sehen wollen …
Das Manuskript.
Sehen, ob das nicht bloß leeres Salongerede gewesen war, die Provokation einer leichtfertigen kleinen Marquise, die sich langweilt, während ihr reicher Mann die Haushaltskasse füllt.
Und so war Die demütige Königin entstanden. Das Manuskript, das Iris Gaston Serrurier überreicht hatte. Gelesen, angenommen, veröffentlicht und in mehreren hunderttausend Exemplaren verkauft. Ein erster Versuch, der sich gleich als Meisterstück erwiesen hatte.
Von einem Tag auf den anderen war Iris Dupin zur Königin der Salons, zur Königin der Fernsehsender, zur Königin der Zeitschriften geworden. Man feierte sie als neuen Stern am Literaturhimmel. Man befragte sie zu ihrer Frisur, zu den Marmeladen, die sie nicht kochte, zu ihren Lieblingsautoren, ihrer Tagescreme, ihrer Nachtcreme, ihrer ersten Liebe, und wo bleibt Gott bei alledem? Sie wurde zum Salon du Chocolat eingeladen, zur Automobilmesse, zu den Modeschauen von Christian Lacroix, zu exklusiven Kinopremieren.
Dann war es zum Skandal gekommen, die Usurpatorin war entlarvt, die schüchterne Schwester als wahre Autorin rehabilitiert worden.
Gaston Serrurier hatte die ganze Affäre mit dem kühlen Blick eines Kenners der Pariser Sitten verfolgt. Belustigt. Mäßig überrascht.
Als er von Iris Dupins brutaler Ermordung im Wald von Compiègne erfahren hatte, hatte er nicht mit der Wimper gezuckt. Wie weit manche Frauen um des Nervenkitzels willen doch gingen. Sie forderten das Schicksal heraus, wie man im Casino die Jetons auf das grüne Tuch wirft. Gähnend fantasierten sie sich eine Beziehung mit dem erstbesten Schönling zurecht, der ihr Blut in Wallung brachte.
Nein, was seine Neugier erregte, war die sanftmütige kleine Schwester …
Woraus speiste sich dieses Füllhorn an Fantasie? Nicht allein aus historischen Quellen. Das brauchte man ihm nicht zu erzählen. Es gab Liebesszenen in der Demütigen Königin , die den Tod der schönen Iris Dupin präzise vorwegnahmen. Wahre Schriftsteller haben tragische Vorahnungen. Wahre Schriftsteller sind dem Leben voraus. Und diese kleine, bescheidene Frau, diese Joséphine Cortès, war, ohne es zu wissen, eine wahre Schriftstellerin. Sie hatte das Schicksal ihrer Schwester vorausgeahnt. Und dieser Widerspruch zwischen der Frau und der Schriftstellerin war es, der im kalten, blasierten Blick von Gaston Serrurier einen Funken Interesse aufleuchten ließ.
Er hatte sich mit ihr in einem Fischrestaurant am Boulevard Raspail verabredet. Mögen Sie Fisch? Das trifft sich gut, denn da, wohin ich Sie ausführe, gibt es nur Fisch … Also gut, dann sagen wir Montag um Viertel nach eins.
Joséphine war um exakt dreizehn Uhr fünfzehn da. Sie war die Erste, teilte der Kellner ihr mit, ehe er sie zu einem großen Tisch mit weißer Tischdecke führte. Ein kleiner Anemonenstrauß verströmte einen Hauch von Bescheidenheit auf der elegant gedeckten Tafel.
Sie zog ihren Mantel aus. Nahm Platz und wartete.
Sie ließ den Blick schweifen und versuchte sich darin, die Stammgäste des Restaurants zu erkennen. Die Stammgäste nannten die Kellner beim Vornamen und erkundigten sich nach den Tagesempfehlungen, bevor sie sich setzten, die neuen Gäste gingen steif und gehemmt, ließen sich wortlos von den Kellnern zu ihrem Tisch bringen, und beim Auffalten fiel ihnen die Serviette auf den Boden. Die Stammgäste ließen sich mit ausgebreiteten Armen auf die Bank fallen, während die Neuen stumm und verkrampft dasaßen, eingeschüchtert von der Vielzahl an Geschirr und dem schwungvollen Auftreten des Personals.
Sie schaute mehrmals auf die Uhr und ertappte sich bei einem Seufzen. Du bist doch selbst schuld, sagte sie sich, in Paris kommen die Leute nie pünktlich, es gehört zum guten Ton, sich zu verspäten. Immer. Du benimmst dich wie eine dumme Gans.
Um Viertel vor zwei traf er endlich ein. Stürmte wie ein Wirbelwind ins Restaurant, das Handy noch am Ohr. Fragte sie, ob sie schon lange warte. Antwortete seinem Gesprächspartner, dass das nicht infrage komme. Sie stammelte, nein, nein, sie sei gerade erst gekommen, und er sagte, das sei ihm auch lieber so. Er hasse
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