Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Wohnung und einen großzügigen monatlichen Unterhalt. Das gab sie zu … Aber was jeder andere mit den freundlichen Begriffen »Wohlwollen« und »Großzügigkeit« bedacht hätte, bezeichnete Henriette Grobz als Almosen, Elend, Schmach. Jedes Wort klang wie ein Affront. Sie murmelte leise vor sich hin, als würde sie beten. Auf dem unbequemen Stuhl, der unter ihrem Gewicht ächzte, sann sie unter grimmigen Halbsätzen – ich wohne in einer Dachkammer … er lässt es sich in seinem Palast gut gehen – über ihre Verbitterung nach und drückte dabei die Perlen ihres Rosenkranzes so fest, als wollte sie sie zerquetschen. Wenn sie an die sagenhaften Gewinne von Casamia dachte, jener Firma, die Marcel Grobz aus eigener Kraft aufgebaut hatte, vergrub sie das Gesicht in beiden Händen, um ihren Zorn zu unterdrücken. Die Beträge tanzten vor ihren Augen, und sie schäumte vor Wut darüber, dass sie keinen Anteil mehr daran hatte. Dabei habe ich so viel in diese Firma gesteckt! Ohne mich wäre er ein Nichts, ein Nichts! Ich habe ein Recht auf dieses Geld, es steht mir zu!
Sie hatte geglaubt, ihr Ziel mithilfe der schwarzen Magie von Chérubine zu erreichen. Und sie war auch tatsächlich kurz davor gewesen, doch sie musste zugeben, dass sie gescheitert war. Also galt es, sich eine neue Taktik auszudenken. Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Es gab eine Lösung, das wusste sie. Durch sein häusliches Glück abgelenkt, würde Marcel Grobz schon bald Fehler machen.
Meine Wut unterdrücken, eine Strategie ausarbeiten, mich unschuldig geben wie eine Erstkommunikantin, meinen Plan in die Tat umsetzen, zählte sie auf, während sie das Gemälde vor ihr betrachtete, auf dem der Verrat des Judas am Ölberg und die Gefangennahme Jesu dargestellt waren.
Jedes Mal, wenn sie in der Kapelle der Heiligen Jungfrau Platz nahm, hob Henriette Grobz früher oder später den Kopf und betrachtete das riesige Fresko, das die erste Szene der Passion Christi schilderte, jenen Moment, in dem Judas auf den Herrn zutritt, um seine Wange zu küssen. Hinter ihm: römische Soldaten, die gekommen sind, um Jesus gefangen zu nehmen. Jedes Mal, wenn Henriette diesen ersten Akt des Gründungsdramas des Christentums betrachtete, ergriff sie eine seltsame Mischung aus Mitleid, Schrecken und genießerischer Freude. Die schwarze Seele des Judas drang in ihre eigene ein und präsentierte ihr die Sünde wie eine reife, verlockende, leuchtend rote Frucht. Sie musterte das blonde, gütige, alles in allem recht nichtssagende Gesicht Jesu, dann wanderte ihr Blick zu Judas, seiner schmalen, langen Nase, seinem dunklen Blick, seinem üppigen Bart, seinem roten Gewand. Stolz und eindrucksvoll stand er da, und sie verdächtigte den Maler, die gleiche sündige Schwäche für diesen raffinierten, unheilvollen, verbrecherischen Mann gehegt zu haben wie sie selbst.
Tugend kann ja so langweilig sein …
Sie dachte an ihre Tochter Joséphine, die sie immer schon mit ihrem braven Nonnengetue auf die Palme gebracht hatte, und bedauerte erneut den Tod von Iris, ihrer wahren Tochter, ihrem Fleisch und Blut … Sie war eine echte Goldmine gewesen.
Sie küsste den Rosenkranz und betete für ihr Seelenheil.
Ich muss mir etwas einfallen lassen, flüsterte sie, während ihr Blick zärtlich über Judas’ lange, schmale Füße strich, die unter dem roten Gewand hervorschauten. Hilf mir, dunkler Judas, hilf mir dabei, mir auch eine Börse voll Silberlinge zu holen. Du weißt, dass das Böse mehr Fantasie und Klugheit erfordert als die Tugend, die so dumm ist, dass es einem die Tränen in die Augen treibt, gib mir eine Idee, und ich werde für die Erlösung deiner Seele beten.
Sie hörte die Schritte des Pfarrers, der auf die Sakristei zuging, und bekreuzigte sich hastig, weil ihr bewusst war, dass sie einen bösen Gedanken gehegt hatte. Vielleicht hätte ich beichten sollen, dachte sie und biss sich auf die Lippen. Gott vergibt alle Sünden, und sicher versteht er meinen Zorn. Schließlich war er selbst auch kein Engel! Er hat seiner Mutter widersprochen und die Kaufleute im Tempel misshandelt. Ich bin von heiligem Zorn durchdrungen, das ist alles, Marcel hat mich bestohlen, mir alles genommen, und ich fordere Rache. Ich will mein Recht zurück. Lieber Gott, ich verspreche dir, dass ich mir nur wiederholen werde, was mir zusteht. Meine Rache wird nicht die Summe dessen übersteigen, was Marcel mir schuldig ist. Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Die Besuche in dieser
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