Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
kleinen Kapelle beruhigten sie. Sie spürte, wie sie in der kalten Dunkelheit neue Zuversicht gewann. Bald würde ihr etwas einfallen. Von einem Tag auf den anderen könnte ein Plan ihre Situation verändern und aus ihr eine interessante Frau machen.
Als der Pfarrer vorbeikam, senkte sie den Kopf, setzte die kummervolle Miene einer Frau auf, die viel Leid zu ertragen hatte, und richtete den bewundernden Blick wieder auf Judas Ischariot. Seltsam, dachte sie, er erinnert mich an jemanden. Sollte das eine Ahnung sein? Eine subtile Botschaft, damit sich ein Name in meinem Kopf regt und mir einen Komplizen weist? Wo hatte sie dieses lange, schmale, dunkle Gesicht, diese gierige Raubvogelnase, dieses stolze Auftreten eines finsteren Hidalgo schon einmal gesehen? Sie legte den Kopf auf die Seite, um ihn genauer zu betrachten, nach links, nach rechts, aber ja doch, ich kenne diesen Mann, ich kenne ihn …
Sie ließ nicht locker, kehrte immer wieder zu diesem düsteren, langen Gesicht zurück, erregte sich, schnalzte mit der Zunge, hätte um ein Haar laut geflucht, das ist es, das ist es, ich soll nicht allein handeln, ich brauche einen Mann, der mir als Werkzeug dient, einen Judas, und ich muss ihn in Marcels Umfeld finden …
Einen Mann, der mir Zugang zu den Konten verschafft, zu den Computern, den Kundenbestellungen, der Korrespondenz mit den Fabriken und Lagern …
Einen Mann, dessen Dienste ich mir erkaufen werde …
Einen Mann, der mir ergeben ist.
Sie schlug ihre Handschuhe gegeneinander.
Ein warmer Strom weitete ihre magere Brust, und sie seufzte zufrieden.
Sie stand auf. Kniete flüchtig vor der Heiligen Jungfrau im blauen Umhang nieder. Bekreuzigte sich. Dankte dem Himmel für seine Unterstützung. Retter der Witwen und Waisen, mein Gott, mein Gott, du hast mir harte Prüfungen auferlegt, aber du wirst mich retten, nicht wahr?
Sie schob drei Zehncentstücke in den Opferstock der kleinen Kapelle. Das leise Geräusch rollender Münzen erklang. Eine zusammengesunken auf ihrem Stuhl sitzende Frömmlerin beobachtete sie. Henriette Grobz schenkte ihr das salbungsvolle Lächeln eines Gemeindemitglieds und rückte beim Hinausgehen den großen, flachen Hut auf ihrem Kopf zurecht.
Es gibt Menschen, mit denen man einen Großteil seines Lebens verbringt, ohne dass sie einem auch nur das Geringste geben. Menschen, die einen nicht erleuchten, einen nicht gedeihen lassen, einem keinen neuen Schwung schenken. Man kann von Glück reden, wenn sie einen nicht langsam zugrunde richten, indem sie sich einem an die Rockschöße hängen und einem das Blut aussaugen.
Und dann …
Dann gibt es solche, denen man nur flüchtig begegnet, die man kaum kennt, die ein Wort, einen Satz zu Ihnen sagen, Ihnen eine Minute, eine halbe Stunde schenken und dadurch den Lauf Ihres Leben verändern. Sie erwarteten nichts von ihnen, Sie kannten sie kaum, Sie sind unbeschwert zu dieser Verabredung gegangen, doch beim Abschied von diesen erstaunlichen Menschen stellen Sie fest, dass sie eine Tür in Ihnen aufgestoßen haben, einen Fallschirm geöffnet haben, jenen wundervollen inneren Antrieb in Ihnen geweckt haben, den ein neues Ziel mit sich bringt, einen Antrieb, der Sie weit über sich hinaustragen und Sie überraschen wird. Sie werden nie wieder eine schlichte Nudel in der Suppe sein, Sie werden über den Bürgersteig tanzen, Ihre Schritte werden Funken schlagen und Ihre Arme den Himmel berühren …
Eine solche Begegnung hatte auch Joséphine an diesem Tag.
Sie war mit ihrem Verleger, Gaston Serrurier, verabredet.
Sie kannte ihn kaum. Normalerweise telefonierten sie miteinander. Er schaltete den Lautsprecher ein, um mehrere Dinge gleichzeitig tun zu können; sie hörte, wie er Umschläge öffnete und Schubladen aufzog, während er mit ihr redete. Er nannte ihr ihre Verkaufszahlen, sprach von der Taschenbuchausgabe, dem Film, der immer noch nicht gedreht wurde. Die Amerikaner, schimpfte er, diese Amerikaner! Sie versprechen viel und liefern nichts. Man kann sich einfach nicht auf sie verlassen … Ich hingegen, ich bin immer für Sie da, Joséphine, und sie hörte seine Stimme nur noch undeutlich, er musste sich gebückt haben, um einen Stift oder eine Büroklammer aufzuheben, einen Vertrag oder einen Terminkalender.
Gaston Serrurier.
Ein Bekannter von Iris. Ihm gegenüber hatte Iris eines Tages bei einem jener Pariser Abendessen, bei denen sich jeder aufplustert und über andere spottet, behauptet, ich schreibe ein Buch … und Gaston
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